Wien wurde kürzlich erneut zur Stadt mit der höchsten Lebensqualität gekürt. Zum achten Mal in Folge. Die Wiener haben halt ihr Schnitzel, weiße Pferde, das Burgtheater und Sisi. Da kann man nur schwer dagegenhalten. Als Tourist nutzt man die Lebensqualität einer Stadt ja nur für begrenzte Zeit, vor allem sucht man das Authentische, möchte also wenigstens ab und zu auch mal einen Einheimischen sehen. Da schneidet die österreichische Metropole gar nicht schlecht ab. Wien ist voll, aber es gibt noch ein Durchkommen. Na ja, man sollte nicht unbedingt ein Stück Torte im Sacher essen wollen, da stehen die Leute bis auf die Straße. Man darf eben nicht zu viel verlangen.
Eine nicht ganz freiwillige Hochzeit
Und dann geht man natürlich nach Schönbrunn. Wegen Sisi und auch ein bisschen wegen Maria Theresia. Sisi war nicht gerade ein Glücksfall für die österreichische Monarchie. Heute ist das anders - rein vermarktungstechnisch gesehen. Franz Joseph, der begehrteste Junggeselle Europas, weil 1. fesch und 2. Kaiser, sollte nach dem Willen seiner Mutter eine seiner beiden bayerischen Cousinen heiraten. Er entschied sich für die 15jährige Elisabeth, genannt Sisi. Die war allerdings auf ein Leben als Kaiserin von Österreich nicht vorbereitet worden und sie war sich dessen wohl bewusst: „Ich habe den Kaiser so lieb! Wenn er nur kein Kaiser wäre!“ Aber daran ließ sich nun nichts ändern und einem Kaiser gab man keinen Korb. Doch Liebe allein ist noch kein Eignungsnachweis für den Beruf einer Kaiserin.
Auf der Flucht
Sisi hatte einen Frühaufsteher, Aktenfresser und Schnellesser geheiratet. Nach Protokoll wurde abgeräumt, wenn der Kaiser fertig gegessen hatte, was die seltenen Mahlzeiten im Kreis der Familie ungemütlich machte. Franz Joseph stand jeden Morgen spätestens um 3.30 Uhr auf, saß um 4 Uhr an seinem Schreibtisch, zum ersten Frühstück um 6 Uhr waren die ersten Aktenstapel abgearbeitet. Die junge Kaiserin kam mit dem streng geregelten Hofleben nicht zurecht, wurde wegen ihres bayerischen Dialekts gemobbt und entzog sich ihren Verpflichtungen. Sie litt an Depressionen, die sich nach dem Tod ihrer ältesten Tochter, die mit zwei Jahren starb, noch verstärkten. Sisi ging auf Reisen, hielt sich kaum noch in Wien auf und entwickelte nur zu ihrer jüngsten Tochter, einem Nachkömmling, eine enge Beziehung. Die Kaiserin als Rebellin oder früh Emanzipierte zu bezeichnen, wäre dennoch verfehlt. Sie liebte (wie ihr Vater) Heine, schrieb Gedichte und ließ sich mit 51 Jahren einen Anker auf die Schulter tätowieren - na ja. Die Vorliebe für den jüdischen, liberalen Dichter Heine, dessen Geist sie in spiritistischen Sitzungen näher gekommen sein soll (das Okkulte war damals Mode), galt als anrüchig, ebenso wie ihre Sympathie für republikanisches Gedankengut. Beides kann man politisch, aber auch als persönlichen Ausbruchsversuch sehen. Der nüchterne Kaiser nannte Sisis literarische Ambitionen „Wolkenkraxeleien“ - die Eheleute hatten sich recht schnell entfremdet.
Nur nicht alt werden
Sisi galt als schönste Frau ihrer Zeit und sie tat viel dafür, dass es möglichst lange so blieb. Während der Kaiser Akten las, widmete sich die Kaiserin ihrer Schönheit. Um ihre Figur zu erhalten, betrieb Sisi exzessiv Sport, unternahm stundenlange Gewaltmärsche (setzte dabei so manche ihrer Hofdamen schachmatt) und machte lange Fastenkuren. Die Kaiserin fühlte sich als „Sklavin ihrer Haare“ - ein selbst gewähltes Schicksal. Das Frisieren der fersenlangen Haare nahm jeden Tag drei Stunden in Anspruch. (Währenddessen lernte die Kaiserin Sprachen oder unterhielt sich mit ihrem griechischen Vorleser.) Auf ausgefallene Haare reagierte sie mit einem Tobsuchtsanfall. Die Haare zu waschen und zu trocknen, dauerte einen ganzen Tag. Im Sommer hing man sie über eine Wäscheleine, im Winter wurden sie auf einem Tisch zum Trocknen ausgebreitet. Es gab ja noch keinen Fön.
Ungarn und der Tod einer Rastlosen
Sisis Vorliebe für Ungarn, wo sie sich freier bewegen konnte, nutzte der Wiener Hof für seine eigenen Zwecke aus. Die Kaiserin setzte sich aktiv für den Ausgleich mit Ungarn ein. Der führende ungarische Adlige Gyula Andrássy freundete sich mit ihr an, über Sisi erreichten seine politischen Ideen direkt das Ohr Franz Josephs, unter Ausschaltung der wenig ungarnfreundlichen offiziellen Kanäle. 1898 wurde Sisi von einem italienischen Anarchisten ermordet. Nach dem Tod der Kaiserin hatte die Bevölkerung Mitleid mit Franz Joseph, der nach dem Selbstmord seines Sohnes einen weiteren Schicksalsschlag verkraften musste. Um Sisi trauerten in Wien die wenigsten, sie war ja kaum da gewesen.
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Michaela und Karl Vocelka: Sisi. Leben und Legende einer Kaiserin. C.H. Beck Wissen, 2014, 8.95 €
Nüchterne Bestandsaufnahme.