„Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann“, schmetterte Trude Herr Ende der 50er Jahre. Da war aus der bitteren Speise heidnischer Götter schon längst zuckersüße Milchschokolade geworden, ein Produkt, das sich in erster Linie an Frauen und Kinder richtete. Man kann das als Verfall des guten Geschmacks beklagen oder aber die Demokratisierung eines Luxusartikels begrüßen, den sich im 20. Jahrhundert fast jeder in der industrialisierten Welt leisten konnte.
Das Süße kommt zum Bitteren
Der Versuchung nachzugeben und sich ein Stück Schokolade zu gönnen, ist erst seit knapp zweihundert Jahren möglich. Vorher genoss man Schokolade fast ausschließlich in flüssiger Form. (Mit Kakao bezeichnet man die Pflanze und ihre Frucht, mit Schokolade das aus der Kakaobohne hergestellte Produkt.) Die Spanier brachten Anfang des 16. Jahrhunderts Kakaobohnen von Mexiko nach Europa. Besonders beliebt waren die bitteren Bohnen anfangs nicht. Die Zubereitung war kompliziert, der Geschmack gewöhnungsbedürftig. Der Kakaohandel lag weitgehend in der Hand der Jesuiten. Die versuchten, die Bohnen an den Mann beziehungsweise an die Frau zu bringen und hatten eine clevere Idee. Nach dem alten Grundsatz „Flüssiges bricht das Fasten nicht“ griff man in den Klöstern in der vorösterlichen Fastenzeit zu Bier und Wein. Schokolade bot sich hier als nahrhafte Alternative an, hatte jedoch den Makel heidnischen Ursprungs und war vielleicht doch mehr Speise als Trank. 1569 erlaubte Papst Pius V. dann ausdrücklich den Genuss von Schokolade in der Fastenzeit. Angeblich hatte man dem Papst eine Schale besonders bitterer Schokolade gereicht. Wer solches bei sich behalten könne, so befand der Pontifex, der brach kein Fastengebot. Dabei sollen spanische Nonnen längst auf die Idee gekommen sein, dem Trank Rohrzucker zuzusetzen - und die Schokolade wurde süß (die erste Schokoladenrevolution). So richtig hip war das Getränk aber noch nicht. Außerhalb Spaniens wurde es kaum konsumiert, was einerseits am spanischen Handelsmonopol lag, andererseits am spanischen Hof. Der war zwar tonangebend in Europa, hatte aber auch etwas Düster-Klerikales. Das wollte so gar nicht zur sinnenfreudigen Schokolade passen, der man nachsagte, die „Lust der Venus“ zu entfachen.
Schokoleidenschaft
Das änderte sich, als Anna von Österreich, die in Madrid aufgewachsen war, 1615 den französischen König Ludwig XIII. heiratete. Die Schokolade hielt Einzug am französischen Hof. Annas Schwiegertochter Marie-Thérèse brachte 1660 ihre eigene Schokoladenmeisterin aus Spanien mit und bekannte, sie habe nur zwei Leidenschaften, die Schokolade und ihren Ehemann, den König. Marie-Thérèse soll ihre Liebe zur Schokolade mit schwarzen verfaulten Zähnen bezahlt haben, doch das war am Versailler Hof kein Alleinstellungsmerkmal. Der König, Ludwig XIV., schwor später unter dem Einfluss seiner Mätresse und zweiten Ehefrau Madame de Maintenon der Schokolade gänzlich ab. Der puritanischen Maintenon missfiel die (angeblich) aphrodisierende Wirkung des Getränks. Auch ihre eher bodenständige Schwägerin Liselotte von der Pfalz mochte das Zeug nicht trinken. Ihr war eine Biersuppe lieber. Beides tat der Beliebtheit von Schokolade am Versailler Hof keinen Abbruch. Schokolade war das Getränk des Adels, ein lasziver Trank des Müßiggangs - im Gegensatz zum Muntermacher Kaffee, der dem bürgerlich protestantischen Leistungsethos entsprach. Man zelebrierte den Genuss mit großem Aufwand und viel Personal. Ein Bediensteter quirlte die Schokolade schaumig, ein zweiter schenkte sie ein und ein dritter reichte das Mundtuch. Schokolade wurde bevorzugt morgens konsumiert, im Boudoir, halb liegend, nicht mehr schlafend, aber auch noch nicht ganz wach, im sinnlichen Dämmerzustand. Wer Schokolade trank, musste nicht ins Bureau eilen. Höchstens aufs Schafott. Marie Antoinette bestellte sich als Henkersmahlzeit eine Tasse heiße Schokolade, zubereitet aus gerösteten gemörserten Kakaobohnen, aufgekocht mit Wasser und Rohrzucker, gewürzt mit schwarzem Pfeffer, einer Prise Nelken und Zimt. Und obenauf - das war das Wichtigste - eine Krone aus Schaum.
Nur für Götter und Eliten
Der Schaum galt schon bei den Maya und Azteken als Highlight einer fachgerecht zubereiteten Trinkschokolade. Auch in seiner Heimat war Schokolade kein Nahrungsmittel für die breite Masse. Dafür waren die Bohnen zu kostbar. Schokolade wurde den Göttern geopfert, bei Gastmählern aufgetischt, um Eindruck zu schinden und ansonsten gerne von den Reichen und Vornehmen konsumiert. In getrockneter Form diente Schokolade als Marschverpflegung für aztekische Elitekrieger und Fernhandelskaufleute. Der Kakaobaum, dessen botanischer Name passenderweise Theobrama (= Götterspeise) cacao lautet, ist etwas zickig. Er mag es warm und feucht und das möglichst gleichmäßig. Sind die Bedingungen nicht ideal, verkümmern die befruchteten Blüten. Kakaobohnen, nach der Ernte durch Trocknen haltbar gemacht, waren eines der am meisten gehandelten Güter Mittelamerikas. Und ein sehr altes Genussmittel. Spuren von Kakao hat man in 5300 Jahre alten Gefäßen gefunden. Vermutlich waren es die Olmeken, die zuerst auf die Idee kamen, aus den Bohnen ein Getränk zuzubereiten. Die Azteken hatten keine eigenen Anbaugebiete und mussten sich das kostbare Gut über Handel oder Tributzahlungen beschaffen. Die Bohnen wurden auch als Zahlungsmittel verwendet. Nach einer aztekischen Preisliste aus dem Jahr 1554 durfte eine große Tomate (oder 20 kleine) nicht mehr als eine Kakaobohne kosten, für einen Truthahn wurden 200 Bohnen fällig, der Preis für ein Hühnerei lag bei zwei Bohnen. (Beyond the Codices. The Nahua View of Colonial Mexico. hrsg. von Anderson, Berdan, Lockhart, 1976, S. 211.) Große, knackige Bohnen waren wertvoller, also wässerten findige Fälscher minderwertige Bohnen und gaben ihnen noch einen frischen rötlichen Anstrich. Der letzte Aztekenherrscher Moctezuma II. hortete Unmengen von Kakaobohnen in seinen Lagerhäusern. Mehr als 1000 Tonnen sollen es gewesen sein. Die brauchte er aber auch. Nach dem Bericht eines spanischen Soldaten gönnte sich Moctezuma jeden Tag mindestens eine Kanne Schokolade, um „gewisse Triebe“ zu wecken. Offenbar erfolgreich. Moctezuma soll 100 Kinder gezeugt haben.
Von der Götterspeise zur Kinderschokolade
In Deutschland, das über keinen Modetrends setzenden Hof verfügte, wurde Schokolade lange nur in Apotheken verkauft. Ersatzprodukte wie der von Friedrich dem Großen protegierte Lindenblütenkakao, den sein „Chymicus“ Andreas Sigismund Marggraf entwickeln musste, kamen bei der Bevölkerung nicht gut an. Zumal Friedrich selbst der Schokolade durchaus nicht abgeneigt war. Erst vor 200 Jahren revolutionierte sich die Welt der Schokolade. Der holländische Chemiker und Apotheker Conrad van Houten entwickelte um 1820 eine Methode zur Entfettung des Kakaos mittels einer alkalischen Lösung und einer hydraulischen Presse. Das so entstandene Kakaopulver löste sich leichter in Wasser, war besser verdaulich und schmeckte besser (die zweite Schokoladenrevolution). Kakao - immer noch als Getränk - wurde allmählich für breitere Bevölkerungsschichten zugänglich und eroberte als Kindergetränk auch die protestantische Mitte und den Norden Europas. Irgendwann hatte jemand die Idee, Kakaomasse mit der bei der Entfettung anfallenden Kakaobutter anzureichern. So ließ sich die Schokolade in Formen gießen und - voilà - die Tafelschokolade war geboren (die dritte Schokoladenrevolution). 1848 stellte die Firma Joseph S. Fry & Sons die neuen Tafeln auf einer Handelsmesse in Birmingham vor. So etwas wie Konfekt gab es aber schon früher. Endgültig massentauglich wurden die einst so bitteren Kakaobohnen mit der Entwicklung der Milchschokolade. Wer hat’s erfunden? Angeblich 1875 die Schweizer. Seit einigen Jahren beharren allerdings die Dresdner darauf, die ersten gewesen zu sein. 1839 brachte die Dresdner Schokoladenmanufaktur „Jordan & Timaeus“ eine Milchschokolade aus 60 Prozent Kakao, 30 Prozent Zucker und 10 Prozent Eselsmilch auf den Markt, geeignet zum Kochen und Rohessen (mdr zeitreise). Wundert sich jemand, dass der Schokoladenverbrauch in Deutschland gering war? Mitte des 19. Jahrhunderts kamen auf jeden Preußen etwa 30 Gramm pro Jahr, in Frankreich waren es 250 Gramm und in Spanien, dem europäischen Mutterland der Schokolade, immerhin ein Kilogramm (Die Chemie des täglichen Lebens. Einleitung in die Nahrungsmittellehre, Heidelberg 1886). Heute verzehrt jeder Deutsche statistisch zwölf Kilogramm Schokolade pro Jahr. Guten Appetit!
Zum Weiterlesen
Genussmittel. Ein kulturgeschichtliches Handbuch, hrsg. von Thomas Henggartner und Christoph Maria Merki, Frankfurt/New York 1999 (Campus Verlag)
Wolfgang Schivelbusch, Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Eine Geschichte der Genußmittel. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1990
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