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Nonne mit Einfluss - Ein weiblicher Frömmigkeitsentwurf (2)

Was bisher geschah: Radegunde, thüringische Prinzessin, zwangsverheiratet mit dem merowingischen König Chlothar, gelang es, aus ihrer Ehe zu flüchten und, mit großzügiger Unterstützung ihres Ehemannes, um das Jahr 557 ein Kloster in der altehrwürdige Bischofsstadt Poitiers zu gründen (s. Ehefrau auf der Flucht).

Radegunde zieht sich  unter Beteiligung des Volkes in ihr Kloster zurück. Leben der heiligen Radegunde. 11. Jh. Stadtbibliothek von Poitiers
Radegunde zieht sich unter Beteiligung des Volkes in ihr Kloster zurück. Leben der heiligen Radegunde. 11. Jh. Stadtbibliothek von Poitiers

In Demut und Gehorsam...

Radegunde überließ die Leitung des Klosters ihrer Ziehtochter Agnes. Das war schon ungewöhnlich. Sie wollte, trotz ihres weltlichen Status als Königin, nichts weiter als eine einfache Nonne sein. So ganz stimmte das nicht, denn je höher der Stand, desto mehr Spielräume hatte frau auch im Kloster. Radegunde führte weiter das gesellschaftliche Leben einer Dame der Oberschicht. Sie hatte ihr eigenes Schlafzimmer, beschäftigte eine Magd und pflegte politische Freundschaften, vor allem mit ihren vier Stiefsöhnen. Dahinter steckte nüchternes Kalkül. Die „einfache Nonne“ wollte ihr Lebenswerk sichern und setzte dabei mehr auf weltliche als auf geistliche Macht. 561 war Radegundes Ehemann Chlothar gestorben, das Reich wurde unter seine vier Söhne aufgeteilt, die sich heftig um die Verteilung des Erbes stritten. Immer sei sie um Frieden besorgt gewesen und da sie alle Könige liebte, betete sie für alle, schrieb die Nonne Baudonivia in ihrer Lebensbeschreibung der Klostergründerin. Da Beten allein vielleicht nicht ausreichte, schrieb Radegunde eifrig Briefe, mahnte die Könige und ihre Ratgeber Frieden zu halten. Und die Könige schickten ihr ihre Töchter. 

Eine besonders enge Freundschaft verband Agnes und Radegunde mit dem Dichter Venantius Fortunatus. Er war ein häufiger Gast im Kloster, schickte den Damen Blumen und widmete ihnen Gedichte. Venantius Fortunatus stammte aus Italien. Er kam in Kontakt mit der fränkischen Oberschicht, als er eine Pilgerfahrt zum Grab des heiligen Martin in Tours unternahm und bei dieser Gelegenheit ein Gedicht für die Hochzeit von Radegundes Stiefsohn König Sigibert verfasste. In seiner Lebensbeschreibung der Radegunde, die er nach ihrem Tod schrieb, stellte er Radegundes streng asketisches Leben in den Mittelpunkt. Die Königin demütigte sich durch Arbeiten, die sonst keine der Nonnen machen wollte, reinigte die Latrinen, rackerte in der Küche, versorgte eiternde Wunden, wusch die Füße aller und trocknete sie wie die biblische Maria von Betanien mit ihren Haaren, wenn man es ihr erlaubte. Sie hätte natürlich auch ein Tuch nehmen können, doch das Mittelalter bevorzugte demonstrative Rituale. Im übrigen gehört die freiwillige Erniedrigung zum festen Repertoire jeder Heiligengeschichte, besonders adliger Heiliger, als Kontrast zur Vorrangstellung, die der Adel gewöhnlich genoss. 

Ärger mit dem Bischof

Nicht jede Klostergründung entsprach den Wünschen der Amtskirche. Die Kirche versuchte, den Wildwuchs religiöser Gemeinschaften in den Griff zu bekommen und unterstellte sie der bischöflichen Aufsicht. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Maroveus, der Bischof von Poitiers und als solcher eigentlich ein mächtiger Mann, schaute mit Sorge auf das Kloster und seine prominenten Insassinnen. Radegunde scheint sich nicht groß um seine Meinung gekümmert zu haben. Ohne Rücksprache mit dem Bischof bat sie König Sigibert um ein Empfehlungsschreiben an den byzantinischen Kaiser, in dem er ihre Bitte um Reliquien vom heiligen Kreuz unterstützte. 569 kam der kostbare Splitter tatsächlich in Poitiers an. Sehr zum Missfallen des Bischofs, der befürchten musste, dass die Kreuzreliquie Pilger und finanzielle Mittel von „seiner“ Kultstätte, dem Grab des heiligen Hilarius außerhalb der Stadt, abziehen würde. Als Maroveus gebeten wurde, die Reliquie feierlich in das Kloster zu überführen, bedachte er die Nonnen mit einem abschätzigen Blick, bestieg sein Pferd und ritt einfach davon. Radegunde wandte sich wieder an König Sigibert, der dem Bischof des nahegelegenen Tours befahl, die Überführung zu vollziehen. Nonnen und Bischof zogen es vor, sich gegenseitig zu ignorieren.

Tod und Versöhnung

587 starb Radegunde. Der Bischof von Tours leitete das Begräbnis, da Maroveus vorgab, wegen pastoraler Pflichten verhindert zu sein. Nach dem Tod Radegundes fehlte dem Kloster die Führungspersönlichkeit. Ein Kloster und besonders ein Frauenkloster brauchte nach gängiger Meinung Aufsicht und Kontrolle. Doch Maroveus zierte sich, erst auf Druck des Königs und seiner bischöflichen Amtskollegen versprach er, den Nonnen ein Vater zu sein. Radegunde wurde schon kurz nach ihrem Tod als Heilige verehrt. Ein geregeltes Verfahren zur Heiligsprechung gab es zu dieser Zeit noch nicht.

Demnächst: Der Aufstand der Nonnen.

Zum Thema "Weibliche Frömmigkeitsentwürfe" auch: Eingemauert. Das Leben und Sterben der Wiborat.

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