· 

Der Fall der Päpstin

Was für eine Geschichte! Ein schönes und kluges Mädchen aus Mainz verliebte sich in einen Mann. Um ihrem Geliebten nahe sein zu können, legte sie Männerkleider an. Ihr Liebhaber führte sie nach Athen, wo sie als Mann verkleidet zur Gelehrten wurde. Sie stach alle Männer aus, niemand konnte ihr das Wasser reichen. In Rom erwarb sie eine Professur und unterrichtete die berühmtesten Männer. Ganz Rom war von dem hübschen und gelehrten jungen „Mann“ begeistert. Da konnte es nicht ausbleiben, dass die Frau in Männerkleidern schließlich zum Bischof von Rom (= Papst) gewählt wurde. Sie nahm den Papstnamen Johannes Angelicus an. Zwei Jahre, sieben Monate und vier Tage saß sie auf dem Stuhl Petri, bis sie, geschwängert von einem Vertrauten, im Jahr 885 während einer Prozession von St. Peter zum Lateran von den Wehen überrascht wurde und bei der Kirche San Clemente ein Kind gebar. Bei der Niederkunft starb die Päpstin und wurde an Ort und Stelle begraben. Aus Abscheu vor dem Ereignis mieden die Päpste fortan diesen Weg und ließen sie aus dem Verzeichnis der Päpste löschen.

Leckerbissen für Verschwörungstheoretiker

1996 machte die Amerikanerin Donna W. Cross aus dieser Geschichte einen Roman, eine feministische Legende, die allein in Deutschland über vier Millionen Leser und Leserinnen (letztere sicher in der Mehrzahl) fand. Die reale Existenz der Päpstin hinterfragt Frau Cross allerdings nicht. Sönke Wortmann verfilmte das Historiendrama 2009, ein Film, den die Kritikerin der „Zeit“ mit dem erlebnisgastronomischen Ereignis „Essen wie im Mittelalter“ verglich, „zaghafte Verwahrlosung“ und ab und an ein „gepflegtes Rülpserchen“ für satte 25 Millionen. Ansonsten verfuhr er mit dem Thema ziemlich unkritisch. (Bekannte, die den Film gesehen hatten, waren denn auch durchweg der Meinung, es habe tatsächlich eine Päpstin gegeben.) Bei „Galileo“ begab man sich sogar mit einem beim FBI ausgebildeten Kriminalbiologen und einem Historiker in abgelegenen Klosterbibliotheken auf Spurensuche. Und äußerte am Ende immerhin Zweifel. Was ist wirklich dran an dem Aufstieg eines aufgeweckten Mädchens zur Päpstin, die dann doch durch ihr Geschlecht zu Fall kam? Nichts, sagen die Historiker. Und haben gute Gründe.

Wohliger Schauer für Touristen

Die Legende von der Päpstin entstand vermutlich aus einer lokalrömischen Sage, vielleicht lebhaft ausgeschmückt von römischen Fremdenführern. (Rom war bereits im frühen Mittelalter ein Touristenzentrum.) Dabei spielen ein Stein mit einer Inschrift, eine an demselben Ort gefundene weibliche Statue mit Kind und die Sitte, bei Prozessionen einen anderen Weg einzuschlagen, eine Rolle. Bei San Clemente fand man eine Inschrift mit den lateinischen Buchstaben P.P.P.P.P.P., gedeutet als petre, pater patrum papisse prodito partum, in mittelalterlichen Schriften übersetzt mit: Petrus, Vater der Väter, enthülle die Niederkunft der Päpstin. Archäologen deuten die Inschrift jedoch anders. Unter San Clemente kann man noch heute ein altes Mithrasheiligtum besichtigen (sehr empfehlenswert!). Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass die ersten drei P für eine in der Antike übliche Weiheinschrift stehen, nämlich proprie pecunia posuit, das nächste P steht für den Namen des Spenders, die beiden letzten für pater patrum, ein Hohe-Priester-Titel des Mithraskultes. Die Übersetzung lautet dann: Gestiftet mit eigenem Geld von P., dem Priester des Mithras. Die angeblich am Ort der Niederkunft aufgestellte Steinskulptur einer Mutter mit Kind stellt eine heidnische Gottheit dar, die zu einer Mutter-Kind-Statue umgedeutet wurde. Es passte halt so gut. Und die Päpste verlegten den Weg ihrer Prozession schlicht, weil es bei San Clemente ziemlich eng ist.

Kein Platz frei

Erst der Dominikaner Martin von Troppau machte die erbauliche Anekdote Mitte des 13. Jahrhunderts einem größeren Publikum bekannt. Er nahm die Geschichte in seine weit verbreitete Papst- und Kaiserchronik auf, gab der Päpstin den Namen Johanna (vielleicht weil Johannes ein gängiger Papstname war) und schob ihr Pontifikat, das immerhin mehr als zwei Jahre gedauert haben soll, zwischen die beiden Päpste Leo IV. (847-855) und Benedikt III. (855-858). Der Dominikaner führte in seinem Geschichtswerk genaue Pontifikatszeiten auf, also musste er auch seiner Päpstin Johanna solche zuweisen. Doch auch der Laie erkennt, dass zwischen beiden Päpsten keine Lücke ist. Und Martin von Troppau ist vermutlich auch aufgefallen, dass er seine Päpstin mehr schlecht als recht dazwischen quetschen musste. Aber das 9. Jahrhundert ist ein bisschen unübersichtlich. Die Besetzung des Papststuhls hing von innerrömischen Machtspielen ab. Es war ein ziemliches Gerangel und Ende des Jahrhunderts kam es zu vielen Erhebungen, die nicht unumstritten waren. Gleichzeitig war diese Zeit von großer Gelehrsamkeit geprägt. Für jemanden aus dem 13. Jahrhundert passte eine Gelehrte als Papst ganz gut in diese Zeit. Gegen Troppaus Geschichte spricht, dass die Überlieferung für das 9. Jahrhundert ziemlich dicht ist, doch in keiner Quelle wird eine Päpstin erwähnt und selbst wenn man glauben sollte, die Kirche habe alle Schriften von Rom bis Konstantinopel manipuliert, findet sich in der Abfolge der Päpste schlicht kein Platz für ein mehrjähriges weibliches Pontifikat.

Die Geschichte einer Legende

Im Spätmittelalter dient die Figur der Päpstin den Reformern als Beweis für die Fehlbarkeit der Kurie. John Wycliff erklärte, wenn die Kardinäle eine Frau zum Papst wählen könnten, dann könnten sie sich auch vom Teufel täuschen lassen und den zum Papst machen. (Im 9. Jahrhundert wählten allerdings nicht Kardinäle den Papst, sondern Klerus und Volk von Rom. Hier täuschte sich Wycliff.) Bezweifelt wurde die Existenz einer Päpstin im Spätmittelalter nur vereinzelt. Erst in den konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Protestantismus und Katholizismus in der frühen Neuzeit begann die quellenkritische Aufarbeitung. Und in der neueren Literatur wird aus der Legende schließlich ein feministisch angehauchter Liebesroman. Die Päpstin Johanna ist seit 700 Jahren nicht mehr als ein Abziehbild der Wünsche und Sehnsüchte der Menschen. Darin ist sie aber bis heute sehr erfolgreich.

 

Mehr nachzulesen bei:

Max Kerner/Klaus Herbers: Die Päpstin Johanna. Biographie einer Legende, Köln/Weimar/Wien 2010 (Böhlau Verlag)

Kommentar schreiben

Kommentare: 0