Martin von Tours
In fortgeschrittenem Alter hatte sich Martin, Bischof von Tours, noch einmal aufgemacht, um in den Gemeinden seines Bistums nach dem Rechten zu sehen. Vielleicht war die Anstrengung zu viel für ihn, denn Martin starb auf der Reise. Martins Leichnam war überaus kostbar, denn er hatte bereits zu Lebzeiten Wunder bewirkt. Und er würde dies als Leichnam weiter tun. Sofort machten sich Leute aus Tours und Poitiers zum Sterbeort auf, um sich jeweils den Toten zu sichern. Die von Tours beharrten auf ihrem Recht an der Leiche, da Martin in Poitiers bereits zwei Tote erweckt habe, in Tours jedoch nur einen. Als Toter müsse er nun noch erfüllen, was er im Leben nicht geleistet habe. In der Nacht drangen die Männer aus Tours heimlich in das Sterbezimmer ein, warfen die Leiche aus dem Fenster auf ein Schiff und brachten sie nach Tours, wo sie triumphal empfangen wurde. Und so sicherte sich Tours einen Standortvorteil und wurde ein viel besuchter Wallfahrtsort.
Vom Soldaten zum Mönch
Mit dem heiligen Martin verbinden die meisten natürlich die Mantelepisode. Martin, römischer Soldat, teilte seinen Mantel mit einem frierenden Bettler. In der folgenden Nacht erschien ihm Christus mit dem weggegebenen Mantelteil im Traum und Martin, der schon mit dem Christentum geliebäugelt hatte, ließ sich taufen. Der Mantel, vielleicht war es auch das Grabtuch, wurde zur kostbarsten Reliquie des fränkischen Königsschatzes. Das genaue Geburtsdatum Martins ist unbekannt, er wurde wahrscheinlich um 316 im heutigen Ungarn als Sohn heidnischer Eltern geboren. Martins Vater war Soldat und so musste der Sohn vermutlich im Alter von 15 auch den Militärdienst antreten. Er trat während seiner Militärzeit zum Christentum über und wird dann wohl nach 25 Jahren fristgemäß entlassen. Da dürfte er 40 Jahre alt gewesen sein. Er reiste als erstes in die Heimat und bekehrte seine Mutter. Über die alten Handelsstraßen und Reisewege war die Idee des Mönchtums in den Westen gekommen. Dort war das Interesse an den neuen östlichen Lebensformen groß. Nach einigen Stationen ließ sich Martin in Ligugé bei Poitiers im Jahr 361 in einer verlassenen römischen Siedlung nieder. Er lebte zunächst als Einsiedler, allerdings nicht lange. Bald wohnten dort mehr als 60 Mönche. Martin hatte sich durch strikte Askese (und einer angeblichen Totenerweckung) einen Ruf als heiliger Mann erworben.
Ein unansehnlicher Bischof
Als der alte Bischof von Tours 371 starb, wählte die Gemeinde den populären Martin als Nachfolger (vermutlich durch Akklamation). Wie es sich für einen Heiligen gehört, soll sich Martin zunächst verweigert haben, doch auch viele seiner Amtskollegen waren nicht begeistert. Sie störten sich an seinem unansehnlichen Äußeren, den schmutzigen Kleidern, dem wirren Haar. Als Bischof war Martin ein Auslaufmodell. Das Bischofsamt wurde in Gallien für Mitglieder des alten Senatorenadels interessant, ein Amt, in dem man politischen Einfluss ausüben konnte. Martin lebte auch als Bischof asketisch, zunächst bezog er eine kleine Zelle neben der Kirche, dann gründete er einige Kilometer von Tours entfernt das Kloster Marmoutier. Eigentlich war Marmoutier ein Widerspruch in sich: eine Gemeinschaft von Eremiten. Die etwa 80 Mönche lebten in einzelnen Zellen und Höhlen, kamen nur zu den Mahlzeiten und zum Gebet zusammen. Das Tragen rauer Kleidung (aus Kamelwolle) war verpflichtend, Besitz nicht erlaubt, der Genuss von Wein verboten. Gerade Angehörige der Oberschicht (die dieses Leben dann auch finanzierten) fühlten sich von dieser Lebensweise angezogen. Eremitische Gemeinschaften wie Marmoutier waren die Keimzelle für die späteren durchorganisierten Klöster.
Askese als Martyrium
Martins Lebensgeschichte hat Sulpicius Severus aufgeschrieben, ein Zeitgenosse aus vermögender Familie, der Martin auch persönlich kennengelernt hatte. Nach dem frühen Tod seiner Frau, veräußerte er fast seinen ganzen Besitz, um fortan gemeinsam mit seiner Schwiegermutter asketisch auf seinem Landgut zu leben. Er machte es wie die alten Römer, nutzte die Ruhe, um schriftstellerisch tätig zu sein. Wir haben in der Lebensgeschichte etwas Neues vor uns: eine Heiligenlegende ohne Martyrium. Bisher war ein gewaltsamer Tod in Verteidigung des Glaubens Voraussetzung, um als Heiliger verehrt zu werden. Für Sulpicius war Martins Askese gelebtes (unblutiges) Martyrium. Schwierigkeiten hatte er mit Martins Militärzeit, denn Kriegsdienst und Christentum galten nicht jedem als vereinbar. Also legte Sulpicius Wert darauf, dass kein Blut an Martin Händen klebte, ja der spätere Heilige soll sogar in Ketten gelegt unter Zwang den militärischen Fahneneid abgelegt haben. Die historische Authentizität darf bezweifelt werden.
Hier unten leuchten wir
Im 9. Jahrhundert nahm die Popularität Martins allmählich ab, die ottonischen Könige förderten seinen Kult nicht mehr. Trotzdem basteln wir mit unseren Kindern jedes Jahr mühsam Laternen, damit sie am 11. November, dem Tag, an dem Martin zu Grabe getragen wurde, stolz am gemeinschaftlichen Laternenlauf teilnehmen können. Vorher hören wir alle noch die Geschichte vom geteilten Mantel. Und hinterher gibt es Kinderpunsch. Rabimmel, rabammel, rabumm.