Nach dem Tod seiner Frau soll der Kaiser an Abdankung gedacht haben. Also veranstaltete man eine Brautschau und holte die schönsten Frauen an den Hof zur Begutachtung. Der Kaiser entschied sich für Judith, eine junge Frau von außerordentlicher Schönheit. Fünf Monate nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete der Kaiser wieder und dachte nicht mehr an Abdankung. Als frühmittelalterlicher Bachelor agierte hier Ende des Jahres 818 Ludwig der Fromme, der Sohn und Nachfolger Karls des Großen. Judith machte, im Gegensatz zur heutigen Welt des Reality-Fernsehens, tatsächlich einen guten Fang. Mit ihrer Heirat stieg sie zur Kaiserin auf. Nicht, dass sie eine Wahl gehabt hätte, sie hätte den Antrag des Kaisers, mit 41 ein Mann in den besten Jahren, nicht ablehnen können. Der Gedanke war ihr vermutlich auch gar nicht gekommen. Töchter des Adels hatten höchstens die Wahl zwischen Kloster und Heirat. Das Aussehen Judiths war eine nette Dreingabe, ausschlaggebend für die Wahl Ludwigs waren aber wohl die Verbindungen von Judiths Familie, den Welfen, in den Osten des Reiches. Die Heirat eines älteren Mannes mit einer halb so alten Frau ist nichts Ungewöhnliches. Schon gar nicht im Mittelalter. Doch Judiths Jugend und Schönheit rückten sie in das Zentrum der politischen Auseinandersetzung. Sie ist die vielleicht skandalumwittertste karolingische Königin. Schon die Zeitgenossen sahen sie entweder als personifizierte Sündhaftigkeit oder Keuschheit. Interessanterweise hat sich diese Betrachtungsweise bis heute gehalten.
Alter Mann und junge Frau
Aus erster Ehe hatte Ludwig drei erwachsene Söhne, die Nachfolge war bereits geregelt. Eine junge Frau wie Judith konnte aber noch Kinder zur Welt bringen und das tat sie auch. 823 wurde Karl geboren, den man nach seinem Großvater benannte. Der Vater wusste nicht, was er mit ihm machen solle, schrieb ein Chronist, da er das Reich bereits unter seine übrigen Söhne aufgeteilt hatte. Das war natürlich Pech. Judith tat, was jede Mutter tut: Sie setzte sich für eine angemessene Ausstattung ihres Sohnes ein. Dazu musste man vor allem netzwerken. Die Kaiserin gewann den ältesten Kaisersohn als Taufpaten, sandte dem einflussreichen Erzbischof von Reims einen Ring mit der Bitte, für ihren Sohn zu beten. Und sie wirkte auf den Kaiser ein. Außenpolitische Probleme, die Geburt Karls, der Aufstieg der Familie Judiths brachten das fragile Gefüge des Reiches zum Bersten. Die Söhne aus erster Ehe und ihr Anhang probten abwechselnd den Aufstand. Die Schuld sah man zu einem großen Teil bei der Kaiserin. Der alternde Ludwig habe den Einflüsterungen seiner sündhaften Gemahlin nichts entgegenzusetzen und erliege ihren Verfügungskünsten. Ein Stereotyp, das man durch die Jahrhunderte findet, vermutlich aufgebracht von alternden Männern.
Schlafzimmergeschichten
Der königliche Hof war, wie jeder exklusive Zirkel mit hohen moralischen Ansprüchen, anfällig für Klatsch. Die Königin stand immer unter Beobachtung. Man unterstellte Judith ein Verhältnis mit dem Kämmerer Bernhard von Barcelona. Königin und Kämmerer arbeiteten eng zusammen, solche Gerüchte konnten sehr leicht aufkommen. Für Königinnen war das gefährlich. Ihre Hauptaufgabe war es, Kinder zu gebären und für die Reinheit ihrer Abstammung geradezustehen. Bernhard war von Ludwig aus der Taufe gehoben worden. Damit war das Verhältnis nach zeitgenössischem Verständnis Inzest. Der Vorwurf des Inzests wurde auch später immer wieder gern gegen mittelalterliche Königinnen vorgebracht. Das kaiserliche Schlafzimmer war zum Schauplatz politischer Auseinandersetzungen geworden. Gegner Ludwigs nahmen Judith gefangen, man benutzte sie, um Druck auf den Kaiser auszuüben. Bei einem arrangierten Zusammentreffen der Eheleute sollte sie ihn zum Klostereintritt überreden. Ludwig blieb standhaft, gestattete aber seiner Frau den Schleier zu nehmen. Man brachte die Kaiserin nach Poitiers in das Kloster der heiligen Radegunde. Das war kein freiwilliger Klostereintritt. Klöster waren die mittelalterlichen Haftanstalten. Auch Judiths Brüder und wurden geschoren und in Klosterhaft genommen. Die Rebellion brach bald zusammen, Judith wurde rehabilitiert. Bernhard und Judith leisteten einen Reinigungseid. Die Kaiserin gewann ihren alten Einfluss zurück. Ihre Gegner sahen in Judith eine Frau, die die Ordnung zerstörte. Ihre Schönheit hatte bei ihrer Hochzeit als Ausweis ihrer Würde und Tugendhaftigkeit gegolten, jetzt war sie Zeichen moralischer Verderbtheit und Wankelmütigkeit der Jugend. Ein alternder und kränkelnder Mann wie Ludwig hatte dem nichts entgegenzusetzen.
Die letzten Jahre
Drei Jahre später kam es erneut zu einem Aufstand, dieses Mal verbannte man die Kaiserin nach Tortona in Oberitalien. Ludwig und Karl blieben im Lager des ältesten Kaisersohns unter Bewachung. Die Verhältnisse waren unübersichtlich, man trachtete der Kaiserin angeblich nach dem Leben. Anhänger Ludwigs befreiten sie. Die Söhne waren heillos zerstritten, so dass Ludwig wieder an die Macht kam. Judith suchte den Ausgleich mit den ältesten Kaisersöhnen. Sie musste in die Offensive gehen, um ihrem Sohn sein Erbteil zu sichern. Ludwig hatte inzwischen das stolze Alter von 56 Jahren erreicht, ihn plagte die Gicht und auch sonst stand es um seine Gesundheit nicht zum Besten. Was sollte aus Judith und ihrem Sohn werden, wenn der Kaiser starb? Um es kurz zu machen: Karl erhielt schließlich einen angemessenen Anteil, wenn auch erst nach einem Bruderkrieg. Er wurde von seiner Mutter tatkräftig unterstützt. Der Thronschatz befand sich nach dem Tod Ludwigs 840 ganz oder teilweise in ihren Händen und kam ihrem Sohn zugute. Außerdem sammelte sie Truppen für Karl. In ihren letzten beiden Lebensjahren wurde es ruhig um Judith. 843 starb sie in Tours und wurde im Kloster des heiligen Martin begraben.
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