Es ist ein Gemetzel. Assurbanipal (668 - ca. 631 v.Chr.), König von Assyrien, jagt Löwen. Er tut das nicht allein. Zu viert stehen sie auf dem Streitwagen: der König, wehrhaft, mit schussbereiter Armbrust neben dem Wagenlenker, hinter ihm zwei Männer, die einen angreifenden, bereits verwundeten Löwen mit Speeren abwehren. Unter den Hufen des Pferdes eine sterbende Löwin. Der unterlegene Feind, überrollt vom Wagen des Siegers, ist ein beliebtes Motiv in der assyrischen Kunst. Was einst des Königs Palast in Ninive schmückte und heute die Wände von Raum 10 im Britischen Museum in London ziert, ist nichts für zartbesaitete Gemüter. In blutigem Kampf unterwirft der König die Kreatur. Das ist weit mehr als eine Jagd, das ist Krieg.
Die ersten Menschen jagten, um zu überleben. Fleisch war ein hochwertiger Proteinlieferant, Fell und Knochen wurden zu Kleidung und Werkzeugen verarbeitet. Als die Menschen sesshaft wurden, Ackerbau und Viehzucht betrieben, hatten Wildtiere nicht mehr dieselbe Bedeutung. Das auf der Jagd erlegte Tier war immer noch eine willkommene Abwechslung im Speiseplan, aber wichtiger war der Schutz von Haustieren und Feldern.
Das Bild des Hirten, der seine Herde vor wilden Tieren schützt, wurde in den altorientalischen Kulturen auf den Herrscher übertragen. Die Jagd auf gefährliche Tiere war königliches Privileg. Wir wissen es nicht genau, aber wir können wohl davon ausgehen, dass die Jagd als Sport, Vergnügen und Pflicht aufgefasst wurde. Die assyrischen Paläste waren voller Darstellungen von Jagdszenen, von einem erbittert geführten Kampf gegen angreifende Löwen. Löwen, so scheint es, wurden in Assyrien als Symbol für alles Bedrohliche gesehen. Und der König höchstpersönlich hatte dafür zu sorgen, die Bedrohung abzuwenden. Die rituellen Jagden fanden in (abgeschlossenen?) Wildparks statt mit eigens für die Jagd gezüchteten Löwen. Helfer ließen die Löwen zu Beginn der Jagd aus ihren Käfigen frei, Helfer mit Hunden und Soldaten sorgten dafür, dass kein Löwe entkommen konnte. Inmitten des Kampfes der König als alle Gefahren abwehrende Siegergestalt. Jagd und Krieg waren im altorientalischen Denken nicht voneinander zu trennen. Wer sich in der Jagd bewährte, bewährte sich auch als Feldherr.
Bei diesen Bildern empfinden wir Mitleid mit der sterbenden Kreatur. In der Antike empfand man - vermutlich - anders.
Die Fruchtbarkeit im Land zu sichern, war eine der Hauptaufgaben assyrischer Könige. Neben der rituellen Löwenjagd als Ausdruck ständiger Abwehrbereitschaft, symbolisierte die Anlage von üppigen Gärten diese herrscherliche Pflicht. In den prachtvollen Palastgärten pflanzte man neben einheimischen Gewächsen auch fremdartige Bäume und Sträucher an und hielt exotische Tiere aus den eroberten Gebieten - ein Abbild des assyrischen Reiches im Kleinen. Das griechische paradeisos, unser biblisches Paradies, soll seinen Ursprung in diesen idyllischen Gärten haben. Schön anzusehen zweifelsohne und eine ständige Mahnung, Wohlstand und Fruchtbarkeit des Landes zu erhalten und zu mehren.
Einfach, weil sie so schön sind: Die Löwen der Prozessionsstraße des babylonischen Ischtar-Tempels, gebaut von Nebukadnezar II. im 6. Jh.v.Chr., heute zu sehen im Pergamon-Museum in Berlin. Löwen, Inbegriff von Stärke und Macht, begleiteten Ischtar, die Göttin der Sexualität und des Krieges.
Nächste Woche: Die Jagd im antiken Griechenland und in Rom. Löwen spielen weiter eine wichtige Rolle. Zu Teil 2 und 3 geht es hier: Der König jagt (2), Der König jagt (3)
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Othmar Hofer (Freitag, 08 März 2024)
Das auf dem ersten Bild in den Händen des Königs ist keine Armbrust. Es handelt sich vielmehr um einen "gewöhnlichen" Bogen.