Raus aus dem Elfenbeinturm - aber wie?
Vor zwei Wochen ging in Münster der 52. Deutsche Historikertag zu Ende. Mit 3.700 Teilnehmern ist der Historikertag Europas größter geisteswissenschaftlicher Kongress. Man traf sich, um über „Gespaltene Gesellschaften“ zu reden. Die Bandbreite reichte von römischen Identitätsproblemen im 1. und 2. Jahrhundert nach Christus bis zum neuzeitlichen Vegetarismus. Nun denn. Ein wahrhaft weites Feld. So aktuell das Tagungsthema auch sein mochte, diskutiert wurde über Detailfragen. Tapfer arbeitete man sich durch Gegensätze und deren Überwindung: Kreuzzugsideologie, Waffenbesitz, Handlungsspielräume im Kalten Krieg oder römische Bürgerkriegskultur. Wer sich etwas Abseitiges gönnen wollte, ging in die Sektion „Gespaltene Sinne? Sensorische Differenz im 20. Jahrhundert“. Bodo Mrozek (Herausgeber des „Lexikons der bedrohten Wörter“) erzählte die olfaktorische Geschichte der deutschen Teilung. Wer zu DDR-Zeiten mal in Bitterfeld war, weiß um die besondere ostdeutsche Duftkomposition aus Braunkohle, Chemie und Trabi. Dagegen, jedenfalls in meiner ganz persönlichen Erinnerung, der westdeutsche Duft nach Rosmarin, der einer Flasche „Badedas“ entströmte, bevor sich der grüne Glibber in der Badewanne zu einem gigantischen weißen Schaumberg erhob. Und Bohnerwachs auf grauem Linoleum.
Jenseits olfaktorischer Genüsse war Münster auch ein politischer Historikertag. Schon zu Beginn forderte Wolfgang Schäuble in seiner Festrede von den Historikern mehr Einmischung in die gesellschaftlichen und politischen Debatten. Und rannte damit offene Türen ein. Die Diskussion, ob Historiker sich mit moralischen Appellen gegen Populismus, Fixierung auf das Nationale, Fremdenfeindlichkeit, kurz gegen einen Rechtsruck der Gesellschaft wenden oder dem Ideal wissenschaftlicher Objektivität verpflichtet bleiben sollen, ist in vollem Gange. Der Verband der Historiker und Historikerinnen hat mit großer Mehrheit eine Resolution zu den „gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie“ verabschiedet (nachzulesen hier). Die Schelte folgte prompt, die FAZ kritisierte, die Historiker hätten sich zu linksliberalen Oberlehrern aufgeschwungen und Parteitag gespielt, die Süddeutsche, formulierte flott vom Hysterikertag, um dann zu konstatieren, das wäre dann doch übertrieben zugespitzt.
Historiker bringen mit der Quellenkritik, der kritischen Textanalyse, das Handwerkszeug mit, um sich gegen Fake News zu wappnen und Populisten als die unsoliden Vereinfacher zu entlarven, die sie sind. Das ist doch schon mal was. Historia docet - können wir aus der Geschichte lernen? Nicht im Sinne einer Gebrauchsanweisung, aber beim Einordnen gesellschaftlicher Entwicklungen kann sie schon helfen. Gespaltene Gesellschaften, das mag aktuell klingen, ist aber der historische Normalfall. Es gab noch nie homogene Gesellschaften: Brüche, Konflikte, unterschiedliche Lebensformen und Glaubensrichtungen, wirtschaftliche und rechtliche Ungleichheit scheinen Konstanten menschlichen Zusammenlebens zu sein. Und wie bringt der Historiker seine Botschaft unter die Leute? Am wenigsten erfolgversprechend ist vermutlich die Resolution (s.o.). Geht es nach Heiner Wember, der als Historiker unter anderem für die Sendung „ZeitZeichen“ (WDR 2) tätig ist, ist der Podcast das Mittel der Wahl. Die Diskussionsrunde „Geschichte, Medien und Öffentlichkeit“ litt etwas unter der überforschen Moderation Wembers, der sich und seine Sendung zu sehr in den Mittelpunkt stellte. Wissenschaft lässt sich nur bedingt in 15 Minuten Häppchen umsetzen. Sonst wird aus Geschichte Geschichtenerzählerei, eine TerraX-isierung der Geschichtswissenschaft, wo wir alle live dabei sind, wenn Karl der Große die Sachsen besiegt, Cäsar Cleopatra liebt oder Hitler Hunde. Bestellt man dann in der Buchhandlung das Standardwerk „Die Karolinger“ des vor kurzem verstorbenen Rudolf Schieffer, dann tippt die Buchhändlerin Caro Linger in die Suchmaske, vermutlich in der Annahme, es handele sich um einen Frauenroman. Vielleicht hilft uns doch nur noch ein Podcast.