· 

Multikulti am äußersten Rand der Welt - Der Handelsplatz Haithabu (1)

Die Stadt „am äußersten Rand des Weltmeeres“ sei zwar groß, doch arm an Gütern, die Menschen würfen ihre neugeborenen Kinder ins Meer, um sich die Ausgaben zu sparen und - horribile dictu - das Recht auf Scheidung stehe den Frauen zu. Ibrahim ibn Yaqub, der Gesandte des Kalifen von Córdoba, konnte sich auch nicht für den Gesang, den die Männer hoch oben im Norden anstimmten, begeistern. Nie habe er etwas Hässlicheres gehört, es sei eher ein Gebrumm, das da aus den Kehlen komme, viehischer noch als Hundegebell. Unser Gewährsmann wäre wohl sehr erstaunt gewesen, hätte er gehört, dass das in seinen Augen so armselige Haithabu mehr als 1000 Jahre später zum Weltkulturerbe erklärt wird. Man muss dem Reisenden allerdings zugute halten, dass er aus seiner Heimat Glanzvolleres gewöhnt war als die „erste Metropole des Nordens“.    

Wikingersiedlung Haithabu
Rekonstruktion der Wikingersiedlung Haithabu vor zehn Jahren. Inzwischen wurden insgesamt sieben Häuser rekonstruiert.

Am Anfang waren die Friesen...

Die lange Wirtschaftskrise der Spätantike schwächte sich im 7./8. Jahrhundert endlich ab. Aufschwung in Sicht! Aber Europa hatte sich verändert. Nicht mehr das Mittelmeer stand im Fokus, Geld machte man jetzt im Nordosten. (Wobei einige Experten der Ansicht sind, die höhere Zahl der Ausgrabungen im Norden verzerre die Wahrnehmung.) Über die Nordsee, über das Mündungsgebiet von Rhein, Maas und Schelde lief der Handel mit England. Über die Ostsee handelte man mit Skandinavien und über das russische Flusssystem gelangte man bis nach Konstantinopel. Besonders gewiefte Kaufleute waren die Friesen. Sie gründeten wohl auch im 8. Jahrhundert Haithabu, zunächst als temporären Handelsstützpunkt, ein Lager für die Sommermonate, ein paar kleine Grubenhäuser, nicht mehr. Die Lage war gut gewählt, die Bucht am Ende der Schlei geschützt, das Wasser flach, so dass man die Schiffe auf den Strand auflaufen lassen konnte zum Be- und Entladen. Aber das Beste war: Auf dem Landweg war die Nordsee gerade mal 18 Kilometer entfernt, eine Strecke, die mit Karren gut zu bewältigen war. So konnte man sich den gefährlichen Seeweg um das heutige Dänemark herum sparen und erreichte über Treene und Eider die Nordsee.

Dänen = Wikinger

Wikingerschwert
Wikingerschwert um 900, Britisches Museum London

804 wird Haithabu zum ersten Mal in den schriftlichen Quellen erwähnt, da kontrollierte schon der dänische Kleinkönig Godofred die Siedlung. Für die meisten Menschen waren die Dänen ein Schreckgespenst. Dänen suchten die Küsten Westeuropas heim, plünderten, brandschatzten, raubten. „Die Dänen kommen!“ war gleichbedeutend mit: „Die Wikinger fallen ein!“. Im Mittelalter machte man allerdings keine großen Unterschiede, man nannte alle Skandinavier Dänen, gleich welcher Teil Skandinaviens ihre Heimat war. Raub und Handel gingen bei den Wikingern Hand in Hand, wobei zwischen Handels- und Beutefahrten streng unterschieden wurde. Handelsschiffe waren breiter, schwerer und mit weniger Ruderern besetzt. Man brauchte ja Platz für die Ware.


Wirtschaftsförderung und freier Handel

Godofred betreibt Wirtschaftsförderung auf Wikingerart, 808 zerstört er den konkurrierenden Handelsplatz Reric bei Wismar, entführt die Kaufleute und siedelt sie in Haithabu an. Der Plan geht auf, auch wenn Godofred 810 ermordet wird. Haithabu blüht und gedeiht, nicht zuletzt, weil alle an einem prosperierenden Handel interessiert sind. Das Danewerk, ein Wallsystem, die größte Befestigungsanlage Skandinaviens, 30 Kilometer lang, zehn Meter breit, fünf Meter hoch, schützt die Handelswege. Seit Karl der Große die Sachsen besiegt hat, liegt Haithabu im Grenzgebiet zum fränkischen Imperium. Die Herrschaftsverhältnisse wechseln öfter, Haithabus Entwicklung beeinträchtigt das nicht. Kaufleute stehen unter dem Schutz des Königs. Seine Stellvertreter sorgen für Ordnung auf den Märkten, gehen gegen Falschmünzer und Betrüger vor. Dafür müssen Zölle und Abgaben entrichtet werden. Auch Handelsabkommen gibt es schon, der dänische und der fränkische König schließen 873 einen Vertrag, der den grenzüberschreitenden Warenaustausch regelt.    

Die Siedlung

Haithabu, Haus des Händlers
Rekonstruiertes Haus des Händlers, ursprünglich gebaut 852, Nutzungsdauer 4-5 Jahre, 78 qm

Aus dem kleinen Handelsplatz Haithabu wird eine Stadt, hier leben keine Bauern, nur Handwerker und Kaufleute. Die Menschen kommen von überall her: Sachsen, Friesen, Franken, Slawen, Schweden, ab und zu Gesandte aus Byzanz oder Córdoba. Nur die wohlhabenden Händler haben ein eigenes Haus, viele verbringen ihre Nächte in Herbergen, in denen auch die Waren gelagert werden. Die Häuser halten nur wenige Jahre. Ihre Wände bestehen aus Baumstämmen, die man spaltet, um wertvolles Holz zu sparen. Die Stämme werden ohne Fundament direkt in den feuchten Boden gerammt. Die Feuerstelle ist in der Mitte des Hauses in den Estrich eingelassen, an den Wänden befinden sich erhöhte Sitz- und Schlafgelegenheiten. Kleidung und Wertgegenstände bewahrt man in Truhen und abschließbaren Kästen auf. In seiner Blütezeit hatte Haithabu mindestens 1000 Einwohner. Man schätzt, dass fünf Prozent zur herrschenden Elite zählten. Ob es in Haithabu auch spezialisierte Handwerker gab, die nur für den Export arbeiteten, ist nicht sicher. Es ist kaum möglich, bei ausgegrabenen Objekten zwischen Produkten für die Selbstversorgung und solchen für den Export zu unterscheiden. Schriftliche Quellen sind für diese Handelszentren eher Mangelware. Wir sind also auf die Erkenntnisse der Ausgrabungen angewiesen.

Der Hafen

Herzstück der Stadt war der Hafen. Er war die Grundlage für den Wohlstand Haithabus. In den Ausbau der Hafenanlagen wurde kräftig investiert. Zog man die Schiffe am Anfang einfach ans Ufer, wurden bald kleinere Steganlagen errichtet. Später bauten die Bewohner große Landebrücken, damit die tiefgängigen Handelsschiffe schwimmend anlegen konnten. Die einzelnen Stege wurden miteinander verbunden, so dass ein riesiger hölzerner Warenumschlag-, Markt- und Lagerplatz entstand. Es gab nur ein Problem: Die Bewohner nutzten den Hafen als Müllkippe, sie warfen ihren Abfall und di Ballaststeine, mit denen leere Schiffe beschwert wurden, einfach ins Wasser. Dadurch wurde die Wassertiefe immer geringer, während die Handelsschiffe immer größer und tiefgängiger wurden. Folglich mussten die Stege unter großen Kosten und Mühen immer weiter ins Wasser hinausgebaut werden. Gegen Überfälle war der Hafen mit Palisaden befestigt, die Einfahrt möglicherweise durch zwei Türme gesichert. Am Ende half das allerdings nicht viel.

Nächste Woche Teil 2: 

Leben in Haithabu: Gehacktes Silber, Psalmen singende Sklavinnen, verzweifelte Missionare

Mehr von Haithabu (2)

Teil 3: Glaubensfragen (3)

Mehr lesen:

Birgit Maixner: Haithabu. Fernhandelszentrum zwischen den Welten. Begleitband zur Ausstellung im Wikinger Museum Haithabu, Schleswig, 2. Auflage 2012

Wikinger Museum Haithabu

Ausflugstip:

Wer an der Nord- oder Ostsee in der Nähe Schleswigs urlaubt, sollte unbedingt Haithabu einen Besuch abstatten. Auch für Kinder sehr empfehlenswert. Wikinger gehen immer!