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Hadwig - die Witwe auf dem Berg

Eine jugendliche Witwe, die sich einen Mönch als Privatlehrer auf ihre Burg holt. So etwas befeuert nicht nur die Phantasie der Zeitgenossen. Unziemliche Andeutungen gab es bereits im 10. Jahrhundert, tausend Jahre später dichtete man den beiden eine keusche Liebesgeschichte an, 1989 entstand daraus eine sechsteilige Fernsehserie, 2010 gab es sogar Pläne für ein Musical. Klatsch und Tratsch - natürlich. Aber was wissen wir wirklich über Hadwig, die jung verwitwete Herzogin von Schwaben?

Nein, das ist nicht Hadwig, das ist Anna von Kleve, gemalt von Hans Holbein dem Jüngeren für den englischen König Heinrich VIII.. Der König war entzückt von dem Bild, weniger jedoch von der realen Frau. Holbein hatte die Dame wohl etwas aufgehübscht. Anna gelang es immerhin, ihren Kopf zu retten. Heinrich ließ die Ehe annullieren und Anna führte, finanziell gut ausgestattet, ein relativ selbstbestimmtes Leben in England. Hätte die brave Anna sich ein Vorbild an der eigenwilligen Hadwig genommen und beim Porträtsitzen andauernd Grimassen geschnitten, wäre ihr die Ehe vielleicht erspart geblieben. Womit die Verbindung zu Hadwig hergestellt wäre.

Nach dem Tod ihres Mannes wohnte Hadwig als Witwe auf dem Hohentwiel bei Singen, „eine sehr schöne Frau wohl, war sie gegen ihre Leute außergewöhnlich hart und daher weit und breit dem Lande ein Schrecken.“ Mit dieser nicht ganz so schmeichelhaften Charakterisierung führt der St. Galler Mönch Ekkehard (der IV., es gibt eine ganze Reihe Ekkehards in St. Gallen) Hadwig in seine Klostergeschichten ein. Es folgen Geschichten und Geschichtchen um die Herzogin, Anekdoten zumeist, entstanden 50 Jahre nach Hadwigs Tod. Ekkehard gilt als wenig verlässliche Quelle, er hatte eine Neigung zum Fabulieren. Trotzdem oder gerade deshalb waren seine Aufzeichnungen Grundlage des wilhelminischen Bestsellers „Ekkehard“ von Joseph Victor von Scheffel, geschrieben 1855. (Der Buchtitel bezieht sich auf den verhinderten mönchischen Liebhaber Hadwigs, Ekkehard den II..) Die tragische Liebesgeschichte zwischen Mönch und Herzogin war eines der meist verkauften Bücher des 19. Jahrhunderts.

Eine junge Ehefrau und eine junge Witwe

Hadwig wurde um 938 geboren. Sie war die Tochter Heinrichs, des späteren Herzogs von Bayern, der außerdem der Bruder König Ottos I. war. Eine illustre Familie also. Man sagte der Heinrich-Linie eine gewisse Halsstarrigkeit nach. Geht es nach Ekkehards Klostergeschichten, hatte Hadwig diese geerbt. Sie soll als Braut des byzantinischen Kaisers Romanos II. vorgesehen gewesen sein. Eunuchen des byzantinischen Hofes unterrichteten das junge Mädchen in Griechisch. Als einer von ihnen sie porträtieren wollte, um das Bild seinem Herrn zu schicken, schnitt sie absichtlich Grimassen, verzerrte Mund und Augen, weil ihr die Hochzeit zuwider war. Eine hübsche Anekdote, die ganz sicher nicht wahr ist, denn es war zu dieser Zeit nicht üblich, lebensechte Porträts zu malen. Ob an dieser Eheanbahnung überhaupt etwas dran ist, ist umstritten. Das Griechische soll Hadwig jedenfalls perfekt beherrscht haben. Die 15jährige wurde stattdessen 954 mit dem wesentlich älteren Burchard III., Herzog von Schwaben, verheiratet. Burchard hatte im selben Jahr das Herzogtum Schwaben von König Otto erhalten. Dem bisherigen Inhaber Liudolf, einem Sohn Ottos aus erster Ehe, war es nach einem Aufstand gegen den Vater aberkannt worden. Durch die Ehe mit Hadwig, der Nichte des Königs, versuchte man Burkhard in die ottonische Familie einzubinden.    

Die Ehe blieb kinderlos. Nach dem Tod Burchards im Jahr 973 wurde Hadwig mit 34 Jahren Witwe. Otto I. war kurz zuvor gestorben, sein Sohn Otto II. vergab das Herzogtum an einen Sohn seines Stiefbruders Liudolf, der, um die Verwirrung komplett zu machen, ebenfalls Otto hieß. Normalerweise verheiratete man den neuen Herzog und die alte Herzoginwitwe miteinander (wenn sie nicht zu alt war und der neue Herzog noch nicht vergeben), doch in diesem Fall hätte eine zu nahe Verwandtschaft eventuelle Heiratspläne zunichte gemacht. Hadwig wählte auch nicht ein Leben in einem Stift oder Kloster, gewidmet dem Gebet für das Seelenheil des verstorbenen Gatten. Burchard wurde im Kloster Reichenau begraben, wo sich die Mönche um sein Seelenheil kümmerten und Hadwig nahm auf der Burg Hohentwiel bei Singen ihren Witwensitz.

Eine Frau als Herzog (!)

Ekkehard nennt sie nach dem Tod ihres Mannes dux Suevorum, Herzog der Schwaben (man beachte die männliche Form!). Das könnte man als Ungenauigkeit abtun, doch auch in königlichen Urkunden wird sie so bezeichnet. Es gibt nicht viele ähnliche Beispiele. Mathilde, Äbtissin von Quedlinburg, die Tante Kaiser Ottos III., war während Ottos Italienaufenthalts Regentin des Reiches. Auf ihrem Grabstein findet sich die männliche Amtsbezeichnung patricius. Ordnete man Frauen die männliche Amtsbezeichnung zu, wenn sie dieses (eigentlich männlich besetzte) Amt tatsächlich ausübten? Die Quellenlage ist zu dünn, um diese Frage beantworten zu können. Aber offensichtlich gab es in Schwaben nach Burchards Tod zwei Personen mit der Bezeichnung dux: Hadwig und Otto. Und damit wird es auch schwierig.    

Hadwig saß auf dem eher unwirtlichen Hohentwiel bei Singen, ungewöhnlich genug, denn Höhenburgen kamen beim Adel erst 100 Jahre später in Mode. Der Hohentwiel diente der Herzogin als Wohn- und Repräsentationsort und dem Kult. Bereits 970 hatten Hadwig und ihr Mann dort ein Kloster gegründet, gewidmet dem heiligen Georg. 27 Mönche und ein Abt werden erwähnt. Das war nicht wenig. Vom Berg aus ließ sich der gesamte Bodenseeraum beherrschen, das alte karolingische Machtzentrum mit den Reichsklöstern St. Gallen, der Reichenau und dem Bistum Konstanz. Als es zwischen den beiden Klöstern zu Streitigkeiten kam, lud Hadwig zu einem colloquium publicum ein und entschied die Auseinandersetzung. Hadwigs Macht beruhte auf ihren familiären Bindungen zum Königshof, sie achtete darauf, ihren Einfluss zu behalten und auszubauen. Damit war sie für die beiden Klöster eine wichtige Türöffnerin, die man nicht übergehen konnte. Hadwig übte im Bodenseeraum wohl de facto herzogliche Macht aus. Sowohl der „eigentliche“ Herzog Otto als auch der König akzeptierten das. Möglicherweise gehörte das Gebiet um den Hohentwiel zu Hadwigs Dotalgut, dem Gut, das eine Frau bei ihrer Hochzeit erhielt und das ihrer Versorgung im Fall ihrer Verwitwung diente. Solche Dotierungen konnten, je nach Stand der Frau, sehr umfangreich sein.    

Mönch, Lehrer, Vertrauter

Hadwig, wissbegierig und belesen, suchte sich in St. Gallen einen Mönch als Lateinlehrer aus. Sie beorderte den Mönch Ekkehard (den II.) auf den Berg, wo er in einem Gemach neben dem ihren untergebracht wurde. Dort suchte sie ihn bei Tag und Nacht, wann immer es sie nach Unterricht gelüstete, auf. Selbstverständlich in Begleitung einer Kammerfrau und selbstverständlich standen auch die Türen immer offen. Schließlich sollte niemand in Versuchung geführt werden. Trotzdem musste der standfeste Ekkehard einiges an Spott wegen seiner schönen Schülerin erdulden. Hadwig brachte ihren Vertrauten schließlich an der königlichen Hofkapelle unter. Sie empfahl ihn auch als Erzieher für den kleinen Prinzen Otto III.. Ekkehard (der IV.) berichtet in seinen Klostergeschichten mit einer gewissen Begeisterung fürs Detail von diesem engen Vertrauensverhältnis. Seine Geschichten beruhen, das sagt er selbst, vor allem auf den Erzählungen der älteren Mönche. Was daran wahr ist, ist schwer zu sagen. Aber Klatsch und Tratsch, oder zumindest die Essenz davon, sind im Allgemeinen langlebig. Im Gedächtnis der St. Gallener Mönche erscheint Hadwig als eine großzügige, aber eigensinnige Gönnerin, die sich ihrer Position sehr wohl bewusst war. Wenn die Frau auf dem Berg rief, dann machten sich die Mönche auf den beschwerlichen Weg nach oben. Und in der Erinnerung der Mönche scheint sie ziemlich oft gerufen zu haben.

Mehr über Hadwigs eigensinnige Familie gibt es hier:

Des Königs Bruder

Ein zänkisches Geschlecht

Ekkehards St. Galler Klostergeschichten werden zitiert nach der Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 2013

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