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Gipfeltreffen

Schauspiel für Geschichtsbücher

13 Sekunden Händeschütteln, ein Griff an die Schulter und ein hochgereckter Daumen. Der amerikanische Präsident Donald Trump und Nordkoreas Diktator Kim Jong-un treffen sich in Singapur. Zwei Männer, zwei Anführer, ein Schicksal, wie es in dem Video heißt, das Trump als Überzeugungshilfe mitgebracht hat. Doch vor dem Kunstgenuss muss Kim sechs Minuten auf Trump warten. Historiker kennen das: Der Mächtigere kommt zu spät. Da sind die Verhältnisse dann gleich klar.

Gehört zu jedem Gipfeltreffen: der Handschlag.
Gehört zu jedem Gipfeltreffen: der Handschlag.

Mitten auf dem Fluss

Gipfeltreffen waren schon immer sorgfältig inszenierte Aufführungen. Begeben wir uns aus der multimedialen Welt der Gegenwart in das einfacher gestrickte frühe Mittelalter. Anfang November 921 dümpelte in der Nähe Bonns, genau in der Mitte des Rheins, ein gut vertäutes Schiff. Auf diesen Ort hatten sich die Unterhändler der Könige Karl III. (Westfranken, viel später Frankreich) und Heinrich I. (Ostfranken, noch später Deutschland) geeinigt. Flüsse, Brücken, Inseln waren gern genutzte Treffpunkte für Unterhandlungen. Vor allem, wenn die Umstände heikel und die Grenzziehung umstritten waren. Im Grunde ging es um Rangfragen, Erbansprüche und auch um Lothringen. Karl, ein Karolinger, wenn auch mit etwas zweifelhaftem Stammbaum, war der Ansicht, dass ihm die Vorherrschaft gebühre gegenüber Heinrich, dem Sachsen, dem neu gewählten Emporkömmling. Die Wiedererrichtung alten karolingischen Glanzes, die Erweiterung des Einflussbereiches im Osten war sein Ziel, wohingegen Heinrich die Anerkennung der karolingischen Eliten suchte. Und nebenbei die Opposition gegen Karl unterstützte.

Die beiden Herrscher erreichten am 4. November mit großem Gefolge ihr jeweiliges Rheinufer. Drei Tage lang präsentierte man sich dem Gegner in aller Pracht am Ufer. Währenddessen liefen im Hintergrund wahrscheinlich Verhandlungen. Dann wurden die Könige auf das Schiff in der Mitte des Flusses gerudert, so dass beide gleichzeitig ankamen. Vermutlich gab es den üblichen Handschlag und den Friedenskuss als Zeichen der Versöhnung und Freundschaft. Karl unterzeichnete als Erster den Freundschaftsvertrag, dann Heinrich, dann eine imposante Zahl von Zeugen, nämlich 32, darunter elf Bischöfe. Der Vertrag wurde von den Großen auf beiden Seiten getragen, die auch nach dem Zerfall des Karolingerreiches verwandtschaftlich eng verbunden waren. Sie hatten auf eine Einigung gedrängt. Das Freundschaftsbündnis wurde auf Reliquien beschworen. Die kostbaren Überreste hatte man extra an den Rhein gebracht. Es musste also ein nicht unerheblicher logistischer Aufwand betrieben werden und man brauchte ein ziemlich großes (und stabiles) Schiff.

Und der Gewinner ist...

Heinrich war der Gewinner des diplomatischen Spiels, bereits der im Vorfeld verabredete Ablauf des Treffens betonte die Gleichrangigkeit beider Könige. Mit dem Vertrag erkannte Karl die gleichberechtigte Herrschaft des Sachsen im Osten an und verzichtete auf seine Ansprüche. Heinrich scheint tatsächlich ein geschickter „Dealmaker“ gewesen zu sein, er setzte auch im Inneren auf Freundschaftsbündnisse. Die mächtigen Familien des Ostfrankenreiches hatten sich auf ihn als König in einem mühsamen Prozess geeinigt. Ausfüllen musste Heinrich die neue Position erst noch.

Zwei Jahre später geriet Karl in Gefangenschaft, Heinrich war zwar bekümmert, rührte sich aber nicht weiter, obwohl ihn das Freundschaftsbündnis zur Hilfeleistung verpflichtet hätte. Verträge konnten offenbar flexibel ausgelegt werden. Karl schickte Heinrich aus der Gefangenschaft das Handreliquiar des heiligen Dionysius zur Erinnerung an ihr Bündnis. Vielleicht war auf diese Reliquie sogar der Eid geleistet worden. Heinrich war hocherfreut über dieses unerwartete Geschenk. Das war es dann aber auch. Außerdem hatte er bereits mit Karls Gegnern ein Freundschaftsbündnis geschlossen. Karl erhielt später den Beinamen simplex, der Einfältige, was zunächst nicht negativ gemeint war. Noch Anfang des 18. Jahrhundert sprach Johann Joachim Winckelmann von stiller Einfalt und edler Größe. Doch die Karl zugesprochene Redlichkeit wurde später aufgrund seines schmählichen Todes in Gefangenschaft abwertend als Naivität gesehen. Und Lothringen bekam Heinrich dann auch noch.