Teil 1: Der Lehrer
Gerbert war klug, ehrgeizig, ein guter Lehrer, leidenschaftlicher Briefeschreiber, gefragter politischer Berater und außerdem konnte er jeden in Grund und Boden reden. Er hatte schon als Mönch das Ohr der Mächtigen, war Abt, Bischof und - als letzte Stufe der Karriereleiter - auch noch Papst. Als Papst nannte er sich Silvester II., doch er blieb Gerbert, was er auch mit seiner eigenhändigen Unterschrift dokumentierte: Gerbertus qui est Silvester, Gerbert, der Silvester ist. Der Mann hatte sich schließlich eine Reputation erarbeitet.
In die Wiege gelegt worden war ihm eine solche Karriere nicht. Der zwischen 945 und 950 in Aquitanien geborene Gerbert stammte aus einfachen Verhältnissen. Als Kind wurde er in das Kloster St-Géraud d’Aurillac gegeben. Er erhielt den üblichen Unterricht: Grammatik, Rhetorik, Logik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Als der Graf von Barcelona dem Kloster einen Besuch abstattete, überredete ihn der Abt, den hochintelligenten Jungen unter seine Fittiche zu nehmen, damit er sein Wissen in den Abteien Kataloniens erweitern könne. Vor den Toren Barcelonas begann das islamische Reich von al-Andalus mit seiner glanzvollen Hauptstadt Córdoba, dem intellektuellen Zentrum Europas. Die Bibliothek Córdobas umfasste mehr Bücher als im gesamten restlichen Westeuropa zu finden waren. Hier lebte (nicht nur) das griechische Erbe weiter. Der naturwissenschaftlich interessierte Gerbert begeisterte sich für griechisch-arabische Wissenschaft und nutzte die Möglichkeiten, die sich ihm in Barcelona boten.
Lehrer für Kaiser und Mönche
970 begleitete er seinen Förderer nach Rom. Gerbert wurde dem Papst und Kaiser Otto I. vorgestellt. Gerbert trat in die Dienste des Kaisers als Lehrer für dessen Sohn Otto II. 972 heiratete Gerberts Schüler die Griechin Theophanu. Damit war sein Lehrauftrag beendet. Auf der Hochzeit knüpfte Gerbert Kontakte nach Reims. Er wurde Berater und Privatsekretär des Erzbischofs und Leiter der Domschule. Eine Aufgabe, die ihn offensichtlich erfüllte. Gerbert unterrichtete alle Fächer, doch seine Leidenschaft galt der Astronomie und Arithmetik. Er baute für den Astronomieunterricht Mess- und Beobachtungsinstrumente, die er in Katalonien kennengelernt hatte. Seine Schüler werden ihn für den Einsatz dieser neuartigen "Medien" geliebt haben. Berühmt geworden ist Gerbert für die Entwicklung eines neuartigen Abakus. Er ließ ein Rechenbrett anfertigen, das in der Länge in Kolumnen für Einer, Zehner, Hunderter usw. unterteilt war. Darauf konnte man mit Hilfe von Rechensteinen dividieren und multiplizieren. Wir wissen nicht, wie die Zahlen ausgesehen haben, mit denen Gerbert rechnete. Sein Abakus wurde in (etwas späteren) Handschriften abgebildet, einige zeigen frühe Formen der arabischen Ziffern. Möglicherweise hatte Gerbert diese in Katalonien kennengelernt und für ihre Verbreitung in Europa gesorgt. Sicher ist das jedoch nicht, obwohl Gerbert auch schwierigste Rechenoperationen in großer Geschwindigkeit ausgeführt haben soll. Man rechnete zu dieser Zeit noch mit den schwerfälligen römischen Zahlen, was schnelles Rechnen fast unmöglich machte.
Astrolabium aus dem Jahr 1236, gefertigt in Kairo. Astrolabien waren bereits Ptolemäus bekannt und wurden dann vor allem bei Arabern und Persern zu astronomischen Beobachtungen und Messungen verwandt. Gerbert lernte solche Instrumente in Katalonien kennen und baute sie für seine Schüler, allerdings kaum so prachtvoll wie dieses.
© Trustees of the British Museum
Himmelsglobus aus dem Irak, um 1275. Höhe 50 cm. Gerbert beschrieb in einem Brief ausführlich, wie er einen solchen Himmelsglobus herstellte: Er ließ eine Holzkugel mit Pferdehaut beziehen, darauf wurden die Sternbilder in Farbe aufgetragen. Bei Gerberts Globus handelte es sich also um ein deutlich einfacheres Exemplar.
© Trustees of the British Museum.
And the winner is...
Anfang Januar 981 disputierten in Ravenna Gerbert und Ohtrich, der Leiter der Magdeburger Domschule, über philosophische Grundsatzfragen. Anwesend war die Elite des Reiches, einschließlich Gerberts früherem Schüler Kaiser Otto II. Der rhetorisch versierte Gerbert soll Ohtrichs Argumente in der Luft zerpflückt haben. Beschämend für den Sachsen. Allerdings: Es gibt nur einen Bericht über dieses Ereignis und der stammt aus der Feder von Gerberts Schüler Richer. Wir wollen nichts unterstellen, aber vielleicht ist die Schilderung nicht ganz objektiv. Der Name Ohtrichs, den Zeitgenossen immerhin für einen zweiten Cicero hielten, wird dank Richer für alle Zeiten mit der Schande dieser Niederlage verbunden sein - verdient oder nicht. Immerhin wurde in Magdeburg eine Straße nach ihm benannt. Aber auch dem Sieger war das Glück nicht hold. Als Belohnung soll Gerbert das Abbatiat über das italienische Kloster Bobbio „gewonnen“ haben, ein vergiftetes Geschenk, denn das einstmals so renommierte Kloster war inzwischen ziemlich heruntergekommen. Gerbert, unerfahren in administrativen Angelegenheiten, hielt es dann auch nur ein Jahr in Bobbio aus. Vielleicht wäre er erfolgreicher gewesen, wäre nicht inzwischen sein Mentor Otto II. gestorben.
Also ging Gerbert zurück nach Reims und arbeitete wieder als Leiter der Domschule. Er machte sich Hoffnungen auf das Amt des Erzbischofs. 991, nach langen Jahren des Wartens, war es dann schließlich soweit. Gerbert wurde Erzbischof von Reims. Warum ihn das in eine tiefe Depression stürzte und wie er wieder herausfand, darum geht es nächste Woche. Ach ja, außerdem wurde er zum Schluss auch noch Papst.