Karl der Große liebte die Frauen. Mochte die Kirche auch Keuschheit fordern, Karl scherte sich nicht darum. Wir wissen von fünf Ehefrauen und mindestens fünf Konkubinen. Vermutlich waren es mehr. Genau lässt sich das nicht mehr feststellen, denn Konkubinen waren nur dann einer Erwähnung wert, wenn sie Kinder geboren hatten. Die Zeitgenossen nahmen das lockere Sexualleben des Kaisers ziemlich gleichmütig hin. Niemand übte an Karl dem Großen zu seinen Lebzeiten offen Kritik.
824, zehn Jahre nach dem Tod des Kaisers hatte Wetti, ein Klosterlehrer auf der Reichenau, eine schreckliche Jenseitsvision. Er sah einen Mann im strömenden Regen, dessen ständig nachwachsende Genitalien immer aufs Neue von einem Tier zerfleischt wurden. Wetti war so diskret, keinen Namen zu nennen. Das besorgte dann sein Schüler Walahfried Strabo: Der namenlose Sünder sei kein anderer als der große Kaiser Karl. Der müsse diese Qualen leiden, weil er sich schändlicher Wollust hingegeben habe. Allerdings nicht in alle Ewigkeit, aufgrund der großen Verdienste des Kaisers um die Kirche werde ihn Gott am Ende erlösen. Nicht das Abschlachten der Sachsen, nicht der Schauprozess gegen seinen Vetter Tassilo, nicht das moralisch zweifelhafte Verhalten gegenüber seinen Neffen hatte Karl in diese unkomfortable Lage gebracht, nein, es waren einfach ein paar Frauen zu viel.
Bis der Tod uns scheidet?
Serielle Monogamie, also das Wechseln von einer noch lebenden (Ehe-)Frau zur nächsten war nicht unüblich, außereheliche Verhältnisse an der Tagesordnung. Erst zum Ende des 9. Jahrhunderts konnte sich die kirchliche Vorstellung von der Unauflöslichkeit der Ehe durchsetzen, jedenfalls soweit es die Lebenden betraf. Die Unauflöslichkeit der Ehe über den Tod hinaus, die lebenslange Witwen- oder Witwerschaft, war zwar moralisch wünschenswert, aber nicht verpflichtend und wurde, wenn überhaupt, eher von Frauen erwartet. In erbrechtlicher Hinsicht hatte sich die Unterscheidung zwischen Konkubinat und Ehe bereits durchgesetzt. Legitime Erben konnten nur aus einer ehelichen Verbindung hervorgehen. Es hatte sich als praktischer erwiesen, die Zahl der Erben zu begrenzen, wobei man im Falle fehlender Erben durchaus flexibel war und flugs auch mal einen Spross aus einer anrüchigen Verbindung legitimierte (und umgekehrt).
Die Ehe eines Königs war nie nur eine private Angelegenheit. Die Ehefrau sollte dem König neue Verbindungen erschließen oder bestehende festigen. Jede Ehe veränderte die Herrschaftsverhältnisse, indem sie die Zusammensetzung der Hofgesellschaft veränderte und den Zugang zum König neu regelte. Die Königin hatte eine wichtige Stellung am Hof, sie stand dem königlichen Haushalt vor, war verantwortlich für die Schatzkammer und vertrat den König in dessen Abwesenheit. Trotzdem treten karolingische Königinnen politisch nicht hervor, werden nur anlässlich ihrer Heirat, ihrer Mutterschaft oder ihres Todes erwähnt und scheinen dadurch austauschbar. Die letzte politisch dominante Frau war die Mutter Karls des Großen.
Die Verleugnete und die Namenlose
Karls erste Ehefrau war Himiltrud. Über sie ist kaum etwas bekannt. Sie stammte vermutlich (ein Wort, das in diesem Text häufig vorkommen wird, denn sicher ist hier nur wenig) aus einer der wichtigeren Familien. Bei der Eheschließung waren beide noch sehr jung, unter 20, wie es damals üblich war. Sie gebar einen Sohn, der nach Karls Vater Pippin genannt wurde. Auf Betreiben seiner Mutter verstieß Karl Himiltrud, um 770 eine Tochter des Langobardenkönigs Desiderius zu heiraten, was bedeutete, dass Himiltrud in ein Kloster eingewiesen wurde. Nach nur einjähriger Ehe schickte Karl seine zweite Frau aus politischen Gründen wieder zu ihrem Vater zurück. Von ihr wissen wir noch nicht einmal den Namen, auch nichts über ihr weiteres Schicksal, möglicherweise wurde auch sie nach der Eroberung des Langobardenreiches 774 in ein Kloster gebracht. Ende des 9. Jahrhunderts sah sich Notker von St. Gallen veranlasst, diese unrühmliche Verstoßung mit Krankheit und Unfruchtbarkeit der Langobardin zu erklären. Sogar eine (von Notker erfundene) Bischofssynode soll die Trennung gutgeheißen haben.
Die Fruchtbare
Mit der Wahl seiner dritten Ehefrau Hildegard setzte Karl zum ersten Mal eigene politische Akzente. Hildegard war noch sehr jung, höchstens 14 Jahre alt. Ihr Vater besaß große Güter im Herrschaftsbereich von Karls Bruder Karlmann. Ob die Eheschließung noch vor Karlmanns Tod im Dezember 771 stattfand, ist nicht sicher. Jedenfalls erleichterte die neue Ehe Karl die Übernahme der Herrschaft im Gebiet seines Bruders. (Seine Schwägerin und seine Neffen flüchteten zu den Langobarden.) In den zwölf Jahren ihrer Ehe war Hildegard eigentlich ununterbrochen schwanger, sie brachte neun Kinder zur Welt. Trotzdem begleitete sie Karl auf vielen Feldzügen. Das Leben als Königin war durchaus nicht immer bequem. Im Winter 773/74 reiste sie hochschwanger über die Alpen nach Pavia, das von Karl belagert wurde. Dort brachte sie eine Tochter zur Welt, die man über die Alpen zurückschickte. Das Kind verstarb noch auf der Reise. Sonst wissen wir nicht viel über Hildegard. Sie starb 783 mit 26 Jahren kurz nach der Geburt ihres neunten Kindes, einer Tochter.
Eine enge körperliche Beziehung scheint das Paar ja gepflegt zu haben, manchmal liest man, dass Karl seiner jungen Ehefrau auch emotional sehr zugetan war. Wie üblich machte der Witwer am Tag nach dem Tod Hildegards eine Stiftung für das Kloster St. Arnulf in Metz, wo die Verstorbene bestattet wurde. In dieser Urkunde wird sie als „dilectissima“ und „dulcissima coniux“ - über alles geliebte und allersüßeste Gattin bezeichnet. Vielleicht war das etwas mehr als üblich, vielleicht auch nicht. Eine Königin war grundsätzlich schön, liebreizend und gütig, es handelt sich dabei also nicht wirklich um persönliche Zuschreibungen oder einen emotionalen Ausbruch des trauernden Witwers. Der omnipräsente Einhard, Vertrauter des Kaisers, schreibt, Karl habe den Tod seiner Kinder mit weniger Haltung ertragen, als es von einem so bedeutenden Mann zu erwarten gewesen wäre. Auch beim Tod des Papstes Hadrian vergoss er Tränen im Übermaß, als habe er einen Bruder oder einen Sohn verloren. Von Tränenausbrüchen beim Verlust der Gattin ist nicht die Rede. Man muss einfach festhalten: Welche Gefühle Karl seinen Ehefrauen entgegenbrachte, wissen wir nicht. Karl wählte seine Ehefrauen aus machtpolitischen Gründen und wenn es ihm opportun erschien und er keine größeren Konsequenzen zu fürchten hatte, trennte er sich wieder von ihnen. Das kirchliche Eherecht war ihm gleichgültig. Was nicht heißt, dass Karl der Große nicht gläubig gewesen wäre. Das war er durchaus. Manche Historiker, wie Peter Dinzelbacher, bezweifeln, dass unsere Vorstellung von Liebe der des 8. Jahrhunderts entsprach. Im antiken Rom rührte Vergil mit der tragischen Liebesgeschichte von Dido und Aeneas, Walther von der Vogelweide sang im 12. Jahrhundert vom Herzeleid, doch kein Sänger klagte in den rauen Zeiten des frühen Mittelalters über ein vom Liebesleid gebrochenes Herz. Das lateinische amor sollte man nicht mit Liebe übersetzen, amor war heißes Begehren und flammende Leidenschaft, flüchtige Gefühle, auf die man keine Ehe baute. Mehr Körper als Geist. Die Suche nach dem oder der Einzigen fürs Leben ist eine Erfindung des späten 18. Jahrhunderts. Nein, Karl parshipte nicht, er ging mit einer Frau eine Geschäftsbeziehung ein. Die meisten Ehen liefen - so ist zu vermuten - nicht viel schlechter als heute. Wer nicht erwartet, ständig im 7. Himmel zu schweben, hat weniger Grund von der Realität enttäuscht zu sein.
Die karolingische Geschichtsschreibung zeichnete bewusst ein positives Bild der dritten Ehefrau Karls des Großen, war sie doch die Mutter des späteren Kaisers Ludwig. Das war auch nötig, denn in den Augen der Kirche war diese Ehe (eigentlich) ungültig und die Kinder damit illegitim. Denn die beiden ersten Ehefrauen waren bei der Eheschließung noch am Leben, Karl somit ein Bigamist. Gerade Himiltrud erwies sich als zäh. Sie lebte noch 15 bis 20 Jahre im Kloster Nivelles, war bei Hildegards Tod wahrscheinlich noch am Leben. Himiltrud wurde später, unter anderem auch von Einhard, als Konkubine diffamiert. Ihr Sohn Pippin geriet gegenüber seinen jüngeren Halbgeschwistern immer mehr ins Hintertreffen, auch weil sich bei ihm eine Missbildung am Rücken zeigte. Er zettelte einen 792 Aufstand gegen seinen Vater an und endete schließlich, wie seine Mutter, im Kloster.
Karl der Große (rechts) und sein Sohn Pippin von Italien (links). Er war der zweite Sohn von Karl und Hildegard, hieß ursprünglich Karlmann und erhielt den Namen Pippin, als er 781 im Alter von vier Jahren vom Papst getauft und zum König von Italien gesalbt wurde. Kein Wunder, dass sich der erstgeborene Pippin, der den Beinamen der Bucklige erhielt, zurückgesetzt fühlte. Miniatur aus einer Kopie des Liber legum 829-836 Fulda
Die Grausame?
Nur wenige Monate nach dem Tod Hildegards heiratete Karl erneut: Fastrada, Tochter aus gutem ostfränkischem Haus. Allgemein wird Fastrada als eine politischere Königin als ihre Vorgängerinnen gesehen. Das liegt vielleicht aber nur daran, dass wir ein paar mehr Nachrichten über Fastrada haben. Und es ist etwas ungerecht gegenüber der dauerschwangeren Hildegard. In elf Ehejahren bekam Fastrada zwei Töchter. Einhard warf ihr Grausamkeit und einen unguten Einfluss auf Karl vor. Sie trage maßgeblich schuld an der Verschwörung ihres Stiefsohnes Pippin. Einhard hatte Fastrada jedoch nie persönlich kennengelernt, sie war schon verstorben, als er an den Hof kam. Möglicherweise ist diese Passage auf Judith, die junge zweite Ehefrau von Karls Sohn Ludwig, gemünzt, die für allerlei Verwerfungen am Hof Ludwigs sorgte. Fastrada begleitete Karl nur selten, was mit einer schwachen Konstitution erklärt wird. Der heilige Goar soll sie an seinem Grab von Zahnschmerzen kuriert haben. Aus dem Jahr 791 hat sich ein Feldpostbrief Karls aus dem Awarenkrieg an seine Ehefrau erhalten. Man sollte allerdings nicht allzu viel Persönliches erwarten. Er beginnt zwar mit einem liebevollen Gruß des Gatten an seine Ehefrau und seine süßesten Töchter, doch relativiert sich das Intime, indem der Gruß auf alle Getreuen, die sich am Hof befänden ausgeweitet wird. Karl berichtet von seinen militärischen Erfolgen und legt Fastrada auf, Bittgottesdienste abhalten zu lassen. Außerdem beklagt er sich, bislang keine Nachricht von seiner Frau erhalten zu haben: Er wünsche eine bessere Unterrichtung, insbesondere was ihren Gesundheitszustand angehe. Fastrada war zu dieser Zeit wohl schon ernsthaft krank, 794 starb sie in Frankfurt.
Stuttgarter Psalter, Blatt 57v. Königspaar als Illustration zu Psalm 45, Vers 10 „In Deinem Schmuck gehen der Könige Töchter; die Braut steht zu Deiner Rechten in eitel köstlichem Golde.“ Entstanden zwischen 820 und 830 in der Abtei Saint-Germain-des-Prés nahe Paris.
Die Unbedarfte?
Karls fünfte und letzte Ehefrau war Liutgard. Die Beziehung zu ihr hatte vielleicht schon zu Lebzeiten Fastradas begonnen. Nicht in allen Quellen wird Liutgard als Ehefrau oder Königin bezeichnet. Eine Erklärung könnte sein, dass die Beziehung im Konkubinat begann und dann in eine legitime Ehe umgewandelt wurde. Theodulf, Gelehrter und Hofdichter, nennt sie freigiebig, milde, freundlich (die üblichen Attribute) und bemüht zu lernen, woraus geschlossen wird, dass Liutgard noch sehr jung und etwas unbedarft war. Aber sie erfüllte die Aufgaben einer Königin, kümmerte sich um die Reisepläne des Hofes, die Schatzkammer und das Seelenheil der Familie. Kinder gingen aus dieser Verbindung nicht hervor. Liutgard starb kurz vor der Kaiserkrönung Karls des Großen im Juni 800.
Außer-Eheliches
Danach heiratete Karl nicht mehr, sondern nahm sich nur noch Konkubinen. Der Grund dürfte darin liegen, dass es bereits drei überlebende Erben gab. Karl zeugte noch mindestens fünf Kinder, doch diese waren, da nicht ehelich, nicht erbberechtigt. Die Kinder wuchsen am Hof auf und wurden als Erwachsene mit lukrativen Posten versorgt, was zu dieser Zeit bedeutete, sie wurden Äbtissin, Abt oder Bischof. Wer die Rolle der Königin übernahm, ist nicht bekannt, vielleicht waren es Karls Töchter, die alle unverheiratet am Hof lebten (und sich Liebhaber nahmen, was für allerlei Gerede sorgte). Über Karls Konkubinen wissen wir nichts, nicht, ob es Mägde oder freigeborene Frauen waren, ob sie aus einflussreichen oder unbedeutenden Familien stammten. Das freizügige Leben, das Karls Töchter führten, war ungewöhnlich, normalerweise wurden Mädchen aus bessergestellten Familien gut behütet, um eine für die Familie vorteilhafte Verbindung einzugehen. Ein Konkubinat durfte keinesfalls ehrenrührig sein, möglicherweise erlaubte man es der Tochter mit Aussicht auf eine spätere Eheschließung wie im Falle Liutgards. Anders verhielt es sich mit den unfreien Mägden. Sie konnten - man muss es so sagen - wie eine sexuelle Ressource genutzt werden, ohne negative Folgen seitens männlicher Verwandter fürchten zu müssen. Diese Frauen hatten, übrigens ebenso wie unfreie Männer, keine Wahl. Es gibt keinen Grund zu glauben, Karl der Große habe sich seiner Mägde nicht bedient. Bestand eine längere Beziehung oder gingen Kinder daraus hervor, verfügte ihr Besitzer manchmal testamentarisch die Freilassung von Mutter und/oder Kindern. Auf der Rückseite einer Urkunde aus dem Jahr 777 wird erwähnt, dass Karl der Große seine Magd Sigrada freigelassen habe. Eine der namenlosen Geliebten? Wir wissen es nicht.
Wer sich für die Mutter Karls des Großen interessiert, wird hier fündig: Bertrada - Ehefrau, Mutter, Königin und Kupplerin (Link)
Wem die karolingischen Königinnen zu blutleer sind, sollte sich mit den Frauen der merowingischen König beschäftigen:
Fredegunde - Mord als Mittel der Politik (Link)