Mittelalterliche Könige gingen zur Jagd. Sie versöhnten sich mit ihren Söhnen auf der Jagd (Otto der Große), erfuhren vom Tod ihrer Frau (ebenfalls Otto der Große), brachen sich das Genick (Ludwig IV.) oder aßen von der Jagd erhitzt zu viel gebratene Hirschleber und starben daran (Heinrich III.). Auf der Jagd konnte der König Herrschaftsqualitäten beweisen: Mut, Kraft, Geschicklichkeit, Ausdauer, sicheres Auftreten. Und das alles vor großem Publikum. Jedenfalls wenn es sich um eine geladene Jagd handelte. Die Franken waren geradezu besessen davon, dem Wild nachzustellen. Karl der Große ritt und jagte bis ins hohe Alter, obwohl es ihn schon sehr erschöpfte. Auf der ganzen Welt, meinte sein Vertrauter Einhard, gebe es kein Volk, dass sich in dieser Beziehung mit den Franken messen könne.
Jagen kann auch Arbeit sein
Die Könige und ihr Gefolge nahmen sich lange Auszeiten. 825 jagte Ludwig der Fromme drei Mal: zwei Monate im Frühling in Nimwegen, im Sommer in den Vogesen, im Herbst in der Nähe von Aachen. Die Jagd gehörte wie der Krieg zum Ablauf des Jahres. In gewisser Weise war das auch Arbeit. Netzwerken mit der adligen Entourage zum Beispiel. Allianzen schmieden. Sich beweisen. Reichtum und Status demonstrieren. Jagd als diplomatische Finte. Bei dem St. Gallener Mönch Notker heißt es, Karl der Große ging mit den Gesandten des Kalifen Harun ar-Raschids Wisente und Auerochsen jagen. Beim Anblick der mächtigen Tiere ergriffen die Perser die Flucht, ganz im Gegensatz zum heldenhaften Karl. Wie ließe sich besser fränkische Überlegenheit demonstrieren? Vermutlich ist die Geschichte nicht mehr als eine Anekdote. Fest steht, bei der höfischen Jagd war nicht die Beute das Wichtigste, sondern die öffentlichkeitswirksame Präsentation von Mut und Kraft. Am meisten geschätzt wurde die Jagd auf Wildschweine, weil sie am gefährlichsten war. Ein Epos, verfasst um die Zeit der Kaiserkrönung Karls des Großen, schildert eine symbolische Jagd, in deren Verlauf Karl vor den Augen seiner Söhne ganz alleine einen riesigen Keiler zur Strecke bringt. Anschließend tötet er, den Jagdspeer in der Faust, wie im Blutrausch Wildschwein um Wildschwein - unzählige Rudel heißt es im Epos. Da schwingen alte Vorstellungen vom König als Bezwinger der Natur und Bändiger des Chaos mit.
Erholung in der Natur
Im kleinen Kreis jagte der König um sich zu erholen. Otto der Große suchte die Einsamkeit, um Vögel zu jagen, Ludwig der Fromme ging gerne fischen. Die Natur diente als Rückzugsgebiet, der Aufenthalt im Freien gehörte zum königlichen Regenerationsprogramm. Man kann sich vorstellen, dass viele Zeitgenossen es merkwürdig fanden, als Kaiser Otto III. sich eine mehrwöchige Auszeit zum intellektuellen Austausch mit zwei Männern, Gerbert von Aurillac und Adalbert von Prag, nahm, die überdies Schwierigkeiten mit dem Establishment hatten. Sein Nachfolger ging dann wieder jagen.
Ein Monopol des Adels
Gejagt wurde in großen Jagdrevieren und in wildparkähnlichen Gehegen, wo ritualisierte Jagden stattfanden. Die Tiere hatten dort praktisch keine Fluchtmöglichkeit. Die Jagden sollten die Überlegenheit des Herrschers über die ungebändigte Natur zeigen. Es war weniger eine Jagd, eher eine Tierhetze, etwas unsportlich aus heutiger Sicht. Die Unterhaltung dieser Gehege muss sehr aufwendig und kostspielig gewesen sein. Karl der Große unterhielt ein repräsentatives Gehege bei Aachen, es gab eines auf einer Rheinaue bei Ingelheim und mit Sicherheit noch einige andere. Während der Römerzeit hatte jeder Bürger das Recht zu jagen. Auch in den germanischen Volksrechten finden sich keine Beschränkungen. Merowingische Könige begannen damit, Bezirke als exklusive Jagdreviere auszuweisen. Im 7. Jahrhundert taucht dafür das Wort forestis (Forst) auf. Für die Bewachung waren unfreie Bedienstete zuständig, denen man eine kleine Hofstelle zuwies. Wilderei kam natürlich vor, quellenmäßig eher belegt von den Großen und Mächtigen. König Guntram ließ 590 seinen Kämmerer steinigen, weil er im königlichen Forst einen Büffel erlegt hatte. Der König soll dieses harte Urteil später bereut haben. Könige konnten durchaus pingelig sein. Karl der Kahle schrieb seinem Sohn genau vor, wo er was er in seinen Forsten jagen dürfe, Wildschwein nur, wenn er auf der Durchreise war. Die Einforstungen beschleunigten die Monopolisierung der Jagd. Jagen wurde zum Vorrecht einer sozial hochgestellten Minderheit. Hundemeuten, Beizvögel, Pferde, Jagdpersonal - all das war teuer. Je besser die Jagdausrüstung, desto höher der Status.
Genug gejagt!
Mit diesen (unvollständigen) Betrachtungen über die Jagd im Frühmittelalter findet der "Der König jagt!" sein Ende. Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2.
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Werner Rösener, Die Geschichte der Jagd. Kultur, Gesellschaft und Jagdwesen im Wandel der Zeit, Düsseldorf/Zürich 2004, Verlag Artemis & Winkler