oder
Wo bleibt das Persönliche?
Ein kleiner Nachtrag zu Brunichilde, die wir bisher (siehe: Die Machthungrige Teil 1 und 2) als machtbewusste, durchsetzungsstarke Königin kennengelernt haben. Die Frau, die nicht gerade zimperlich mit ihren Gegnern umsprang, schrieb gefühlvolle Briefe an den oströmischen Kaiserhof, um die Freilassung ihres dort gefangen gehaltenen Enkels zu erreichen. Hatte die Königin auch eine weiche Seite?
Lost in Spain
Zur Vorgeschichte: Die westgotische Prinzessin Brunichilde wurde 566 mit dem fränkischen König Sigibert verheiratet. Sie hielt weiter Kontakt mit ihrer spanischen Heimat, obwohl sich die Verhältnisse dort zu ihren Ungunsten geändert hatten. Denn kurz nach Brunichildes Heirat war ihr Vater gestorben, ihre Mutter Goswintha hatte einige Monate später den neuen König geheiratet, der zwei Söhne mit in die Ehe brachte. Mit dem ältesten dieser Söhne, dem potentiellen Thronfolger Hermenegild, verheiratete die inzwischen verwitwete Brunichilde 579 ihre Tochter Ingund. Somit war Ingundes Großmutter Goswintha gleichzeitig auch ihre (Stief-)Schwiegermutter. Das Verhältnis soll nicht sehr herzlich gewesen sein. Hermenegild probte den Aufstand gegen seinen Vater, möglicherweise spielten dabei auch religiöse Gründe eine Rolle. Die Westgoten waren Christen wie die Franken, hielten jedoch am arianischen Bekenntnis fest. Bei Heiraten zwischen den Königshäusern nahmen die Frauen gewöhnlich die Religion ihrer Ehemänner an, auch Brunichilde war vom Arianismus zum Katholizismus konvertiert - so groß waren die Unterschiede auch nicht. Doch Ingunde soll sich geweigert und sogar ihren Ehemann vom katholischen Bekenntnis überzeugt haben. Hermenegild geriet in Gefangenschaft, wurde später umgebracht, vertraute vorher seine Ehefrau und seinen kleinen Sohn Athanagild dem Schutz der Byzantiner an, die in dem Konflikt auch noch mitmischten. Diese interpretierten das Schutzverhältnis etwas eigenwillig und verschleppten die beiden 584 nach Konstantinopel. Ingund verstarb unterwegs, doch Athanagild lebte fortan als Geisel am Kaiserhof. Hintergrund waren Auseinandersetzungen mit den Langobarden in Italien. Die Byzantiner wollten erreichen, dass die Franken sie militärisch unterstützten. Da kam eine Geisel, die wenigstens halb zur merowingischen Dynastie gehörte, gerade recht.
Bitte gefühlvoll!
Zwischen 585 und 593 machten sich zwei fränkische Gesandtschaften auf den Weg nach Konstantinopel, im Gepäck Briefe von Brunichilde und ihrem inzwischen mündigen Sohn König Childebert an die kaiserliche Familie und an Athanagild. Brunichilde spricht ihren „süßesten und liebsten“ Enkelsohn direkt an, benutzt nicht das konventionelle „wir“, sondern das persönliche „ich“: „Endlich werde ich durch diesen Brief gleichsam vor deinen Augen sichtbar.“ Thema des Briefes sind Trauer um die Tochter und die Sehnsucht nach dem Enkel. Die Tochter sei nicht vollständig verloren, wenn, mit Gottes Hilfe, der von ihr geborene Sohn seiner Großmutter erhalten bliebe.
Einblick in das Seelenleben einer Königin? Brunichilde schrieb diese Briefe nicht selbst, es waren Schreiben der königlichen Kanzlei, der persönliche Ton, die Emotion, Teil einer ausgeklügelten kommunikativen Strategie. Brunichilde wandte sich an die weiblichen Mitglieder des Kaiserhauses, die Kaiserin und ihre Mutter. Schreiben von Mutter zu Mutter, von Witwe zu Witwe, immer in der persönlicheren Ichform. Thematisiert werden Verlustängste. Besonders eindrücklich im Schreiben an die Kaiserin, der der mögliche Verlust des eigenen Sohnes vor Augen geführt wird. Sie möge sich vorstellen wie ihr Kind dem Blick und den Umarmungen der Mutter entrissen wird. Childerichs Briefe richteten sich dagegen an den männlichen Part, unter anderem an Theodosius, den Sohn des Kaisers, der noch ein Kleinkind war. Seine Briefe sind weniger emotional, formeller, so benutzt er das konventionelle „wir“. Athanagilds Gefangenschaft bezeichnet er euphemistisch als unglücklichen Zufall des Schicksals. Doch auch Childerichs Brief evoziert Bilder des Verlustes: könnte sich Theodosius ausmalen wie es wäre - was Gott verhüten möge - elternlos aufzuwachsen, verwaist, ohne den Schutz eines Vaters?
Was mit den Briefen bei der Übergabe geschah, wissen wir nicht. Wurden sie von den Empfängern leise gelesen so wie wir das heute tun? Oder wurden sie laut vorgelesen? Wenn ja, von wem und vor welchem Publikum? Machte man daraus ein kleines Schauspiel? Den Kindern wird man die Briefe wohl vorgelesen haben. Das gefühlsbetonte Szenario der trauernden Mutter und Großmutter, der Verweis darauf, dass auch dem eigenen Kind ein Schicksal als Waise drohen könnte, sollte - man kann es nur vermuten - einen Stimmungsumschwung am Kaiserhof herbeiführen. Heute würde man eher auf Emotionen weckendes Bildmaterial setzen.
Kein Platz für einen Prinzen
Die Lage war allerdings vertrackt. Kaum denkbar, dass der Sohn eines westgotischen Prinzen, und sei er auch mütterlicherseits ein Merowinger, so einfach ins fränkische Reich gebracht werden konnte. Seine Heimat war das westgotische Spanien, wo für ihn allerdings auch kein Platz mehr war, da der jüngere Bruder seines Vaters inzwischen die Herrschaft übernommen hatte. Ein merowingisch-gotischer Prinz konnte leicht Unruhe ins ohnehin schon gespaltene Frankenreich bringen, möglich dass man in Konstantinopel auch darauf spekulierte. Die Byzantiner hatten schon einmal einen Thronprätendenten unterstützt, um das Frankenreich zu destabilisieren.
Dass Brunichilde das Schicksal ihrer Tochter und ihres Enkels naheging, dass sie mit allen Mitteln versuchte, ihren Enkel aus byzantinischer Haft zu befreien, ist wahrscheinlich. (Natürlich schmorte Athanagild nicht in einem byzantinischen Kerker, sondern wurde standesgemäß am Kaiserhof erzogen.) Doch die Briefe geben nur bedingt Einblick in Brunichildes Seelenleben. Wenn es um authentische Emotionen geht, sind mittelalterliche Überlieferungen noch zugeknöpfter als die englische Königin. Athanagilds weiteres Schicksal ist unbekannt. Man nimmt an, dass das Kind noch relativ jung in Konstantinopel starb.
Zum Nachlesen
Andrew Gillett, Love and Grief in Post-Imperial Diplomacy: The Letters of Brunhild.
In: B. Sidwell & D. Dzino (Hrsg.), Power and Emotions in the Roman World and Late Antiquity, 2010, S. 127-165.
Fränkisch-westgotische Heiratspläne waren selten erfolgreich. Mehr hier: Eine schwierige Mutter-Tocher-Beziehung.