Ein Streifzug durch die Geschichte des Tabakkonsums
Als das Beil des Scharfrichters den Hals von Sir Walter Raleigh durchtrennte, glomm noch die Tabakspfeife in seinem Mund. Genuss bis zum letzten Atemzug. Oder es war ein letzter Gruß des Lebemanns und Abenteurers an König James I., der Raleigh 1618 aufs Schafott geschickt hatte. Denn James war ein erklärter Feind des blauen Dunstes, jenes stinkenden, schwarzen Höllendampfes, der Gehirn und Lunge schädige, zu Laster und Müßiggang verführe. Vorausgesetzt die Geschichte von Raleighs Pfeife stimmt.
Als Kolumbus und seine Männer 1492 Amerika entdeckten, waren sie zunächst etwas befremdet über die Gewohnheit der Einheimischen, „glühende Kohlen“ in den Händen zu tragen, deren Rauch sie „tranken“. Doch bald konnten die Europäer nicht mehr vom Tabak lassen. Der Dominikanermönch Bartolomé de las Casas zeigte sich entsetzt über rauchende Kolonisten, denen es nicht mehr möglich war, diese hässliche Gewohnheit abzulegen, selbst wenn man ihnen sagte, dass sie eine Sünde begingen. Der fromme Mann konnte nicht nachvollziehen, wie seine Landsleute an dieser bitteren Pflanze Geschmack finden konnten. Für die Menschen in der Alten Welt war das Rauchen eine neue kulturelle Technik, obwohl möglicherweise schon die Römer Kräuter in kleine Röhren gestopft und angezündet hatten. Nur wusste das niemand mehr. Bis ins 17. Jahrhundert sprach man davon Tabak zu „trinken“, erst dann setzte sich das Wort „rauchen“ durch. Die aus der Neuen Welt zurückkehrenden Seeleute, die sich ungeniert eine Pfeife ansteckten, wurden mit Argwohn betrachtet. Assoziierte man doch Rauch mit dem Teufel. Als erster namentlich bekannter Raucher in Europa gilt Rodrigo de Jerez, der mit Christoph Columbus 1492 auf der Santa Maria in die Neue Welt gesegelt war. Seine Ehefrau (oder waren es die Nachbarn?) soll ob des aus dem Mund ihres Gatten ausströmenden Rauches so entsetzt gewesen sein, dass sie als gläubige Katholikin sofort die Inquisition alarmierte, die Rodrigo dann für mehrere Jahre in Haft hielt. Als Kompensation wurde 500 Jahre später eine Zigarrenmarke nach ihm benannt. Vielleicht ist es aber auch nur eine schöne Geschichte.
In Europa schätzte man Tabak zunächst vor allem als Zier- und Heilpflanze. Auch in seinem Ursprungsland hatte man die antiseptische und beruhigende Wirkung des Tabaks schon lange genutzt. Gemäß der antiken Vier-Säfte-Lehre, nach der sich Feuchte, Trockenheit, Hitze und Kälte im Körper im Gleichgewicht befinden müssen, schrieb man dem Tabak in der Alten Welt austrocknende Eigenschaften zu. Der heiße Tabakrauch sollte gegen einen Überschuss an Schleim helfen. Tabak wurde bald als Allheilmittel betrachtet, hilfreich gegen alle möglichen Beschwerden von Zahnschmerzen bis zur Pest.
Jean Nicot, französischer Gesandter am portugiesischen Hof, experimentierte mit der neuartigen Pflanze. Er schickte Königin Katharina von Medici 1561 Tabaksamen und empfahl ihr die fein gemahlenen Blätter zu schnupfen, als Mittel gegen ihre häufigen Migräneattacken. Erfunden hatte Nicot, übrigens Namensgeber des Nikotins, das Schnupfen nicht. Die Indianer praktizierten diese Methode des Tabakkonsums ebenfalls, genauso wie das Kauen. Katharina fand das Schnupfen außerordentlich anregend und da der französische Hof tonangebend war, zog sich bald die ganze europäischen Aristokratie den Tabak durch die Nase. Seinen Höhepunkt hatte das Schnupfen im galanten 18. Jahrhundert. Natürlich nahm man nicht einfach dezent eine Prise aus irgendeinem Behältnis, man inszenierte den Vorgang. Die Tabatieren waren kostbare Statussymbole, die man auch gerne verschenkte. Marie Antoinette wurde zu ihrer Hochzeit mit sage und schreibe 52 Tabatieren bedacht. Wie man die Tabatiere hielt, wie man den Tabak anbot und wie man richtig schnupfte, gehörte zur gesellschaftlichen Grundausbildung der Aristokratie wie das Tanzen oder Reiten. Der Schriftsteller und Aufklärer Denis Diderot schrieb in seinem Roman „Jacques der Fatalist und sein Herr“, es seien drei Dinge, die den Herrn zum Herrn machten, Diener, Uhr und Tabatiere. Die Herstellung von Schnupftabak war aufwändig. Der Tabak wurde mit Zucker gesüßt, mit Ölen parfümiert oder mit Gewürzen aromatisiert. Die Lagerzeit bis zur Reife konnte mehrere Jahre betragen. Den Tabak presste man zu spitz zulaufenden Zöpfen, den Karotten, die dann noch auf speziellen Reiben zerkleinert werden mussten. Die Französische Revolution beendete die aristokratische Schnupfkultur. Im 19. Jahrhundert stand das Schnupfen dann eher für kleinbürgerliche Sinnenfreude. „Sehr erheitert uns die Prise, vorausgesetzt, dass man auch niese!“, spottete Wilhelm Busch.
Wie schon sein Vater liebte auch Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der Soldatenkönig, das Rauchen. In kargem Ambiente ging es allabendlich hoch her. Das Hofzeremoniell war aufgehoben, Rauchen Pflicht und Frauen nicht zugelassen (bei seinem Vater war dies noch erlaubt). Natürlich wurde auch Bier getrunken. Friedrich der Große, der frankophile Sohn des Soldatenkönigs, hasste das Rauchen, war ein großer Freund des Schnupfens und ein eifriger Sammler von Tabatieren. Er schaffte das Tabakskollegium ab.
Im Gegensatz zu Kakao und Kaffee setzte sich Tabak auch in den unteren Schichten durch. Dabei spielte der 30jährige Krieg für die Verbreitung eine entscheidende Rolle. Bei den Söldnern stand das Rauchen hoch im Kurs. War das Essen knapp, machte man sich die appetitzügelnde Wirkung des Tabaks zunutze. Wer nicht genug Geld hatte, streckte ihn mit Kräutern, mit dem Laub von Nussbäumen oder Hopfen. Das Kauen von Tabak blieb den Ärmsten vorbehalten. Die Reichen schnupften und der Rest rauchte Pfeife. Von Europa aus verbreitete sich die Pflanze erstaunlich schnell, das Suchtpotential mag dabei eine Rolle gespielt haben. Bereits im 17. Jahrhundert wurde Tabak weltweit angebaut. Die Pflanze bietet dafür beste Voraussetzungen, sie kommt mit fast jedem Klima zurecht - solange es nicht zu kalt und feucht genug ist. Man kann sie sogar im eigenen Garten anbauen.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Zigarre populär, die den Vorteil hatte, dass sie Rauchutensil und Genussmittel in sich vereinigte. Die Zigarre war zunächst das Aushängeschild des freiheitsliebenden Bürgertums. Im Vormärz zeigte sich der als aufrechter Demokrat, der an der Zigarre zog. Das Rauchen in der Öffentlichkeit war in vielen Städten verboten, offiziell wegen der Brandgefahr, aber wohl auch weil das Rauchen außer Haus ein Zeichen politischer Unzuverlässigkeit sein konnte. Eine Berliner Polizeiverordnung von 1810 untersagte das öffentliche Tabakrauchen, weil es unanständig, gefährlich und dem Charakter gebildeter, ordnungsvoller Städte entgegen sei. Der freiheitsliebende Geist des Marlboro-Mannes war der normierungsfreudigen städtischen Obrigkeit zutiefst suspekt. Für das Militär galt diese Regelung übrigens nicht, was bei vielen Bürgern Unmut hervorrief. Heinrich Hoffmann, der Schöpfer des Struwwelpeters, begann im Revolutionsjahr 1848 demonstrativ auf dem Weg in seine Frankfurter Praxis eine Zigarre zu rauchen und behielt diese Angewohnheit bis an sein Lebensende bei. Im 20. Jahrhundert wurde die Zigarre zum Symbol des Großbürgertums. In Abwandlung von Diderot könnte man sagen: Es sind zwei Dinge, die den Mann zum Kapitalisten machen: Bauch und Zigarre. Wer sich als intellektuell und politisch links einstufte, rauchte Pfeife. In der Serie „The Crown“ beklagt sich Premierminister Harold Wilson bei der Queen, er würde lieber Zigarre statt Pfeife rauchen, aber das stünde einem Labourpolitiker nicht gut zu Gesicht.
Eine wirkliche Revolution des Rauchens brachte die Erfindung der Zigarette, eigentlich ein Abfallprodukt der Zigarrenherstellung, die den Rauchvorgang erheblich beschleunigte und vereinfachte. Kein mühsames Pfeifestopfen, kein umständliches Anzünden, sondern ein schneller Fünf-Minuten-Quickie. Zigaretten kamen Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Markt. Zunächst noch ein handgefertigtes Luxusprodukt, wurde die Zigarette durch die Einführung maschineller Verarbeitung ab etwa 1880 auch für breitere Schichten erschwinglich. Die Zigarette wurde zum Symbol der schnelllebigen Moderne. 2019 wurden in Deutschland rund 74,6 Milliarden Zigaretten abgesetzt gegenüber 2,6 Milliarden Zigarren und Zigarillos. (Quelle: Statistisches Bundesamt)
Werbeplakat von 1910 und eine Karikatur aus dem Jahr 1890. Manspreading einmal andersherum. Natürlich raucht die Dame.
Der Konsum von Tabak war zu keiner Zeit eine reine Männersache. Niemand störte sich an einer schnupfenden Dame von Stand (sie tat es sicher der Gesundheit wegen) oder an einer einfachen Frau „aus dem Volke“, die eine kleine Pfeife schmauchte. Die restliche Weiblichkeit galt es, vor den üblen Auswirkungen des Rauchens zu schützen. Der englische König James I., einer der ersten Gegner des Tabakgenusses, problematisierte bereits 1604 die Gefahren des Passivrauchens, insbesondere für die zarten Ehefrauen starker Raucher. Ihnen bleibe gar nichts anderes übrig, als entweder mitzumachen und selbst ihren süßen Atem zu verunreinigen oder sich damit abzufinden, ihr Leben in der Qual ständigen Gestanks zu fristen. Wenn es Männern schon untersagt war, in der Öffentlichkeit zu rauchen, so galt das erst recht für Frauen. Das änderte sich auch nach 1848 nicht. Natürlich gab es Frauen, die sich trotzdem demonstrativ eine Zigarre ansteckten, wie George Sand, die es an manchen Tagen auf sieben Zigarren brachte. Aber die trug ja auch Männerkleidung und pfiff auf weibliche Anmut. Erst die Zigarettenindustrie entdeckte die Frau als Kundin. Und zwar bereits 1910. Die schlanke, weiße Zigarette passte ja auch viel besser zu einer Frau als eine phallische Zigarre. Trotzdem dauerte es noch eine ganze Weile, bis eine respektable Frau sich rauchend in die Öffentlichkeit wagen konnte. Mit dem Slogan „für Männerhände viel zu chic“ wurde 1970 sogar eine besonders lange und schlanke Zigarette eigens für die Frau auf den Markt gebracht.
Was früher als anstößig galt, ist heute Pflicht: Geraucht wird nur noch draußen. (Abgesehen von ein paar vernebelten Raucherrefugien.) Raucher sind in der Minderheit, nur noch ein Viertel aller Deutschen greift zu Rauchwaren. Der Duft von Freiheit und Abenteuer ist nicht mehr der einer Zigarette.
Die Autorin ist Nichtraucherin und geneigt, James I. zuzustimmen, der Tabakrauch als der Nase unzumutbar empfand.