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Raus aus der Opferecke

Azteken-Ausstellung in Stuttgart

Vor genau 500 Jahren landete Hernán Cortés mit ein paar hundert Abenteurern im Golf von Mexiko. Zwei Jahre später lag Tenochtitlán, das glanzvolle Zentrum des aztekischen Imperiums, in Schutt und Asche. Mit der spanischen Eroberung wurde eine blühende Hochkultur zerstört. Das Stuttgarter Lindenmuseum widmet den Azteken eine große Ausstellung, die den Fokus trotz des Jubiläums nicht auf das jähe Ende legt, sondern sich erfolgreich an einem Gesamtblick auf die aztekische Zivilisation versucht.    

Aztekisches Räuchergefäß aus Keramik in Gestalt der Wasser- und Fruchtbarkeitsgöttin Chalchiuhtlicue
Räuchergefäß in Gestalt der Wasser- und Fruchtbarkeitsgöttin Chalchiuhtlicue, © D.R. Archivo Digital de las Colecciones del Museo Nacional de Antropologia, Secretaria de Cultura - INAH

Federschmuck für europäische Lustbarkeiten

Aztekisches Federschild aus der Zeit Moctezumas II.
Aztekisches Federschild aus der Zeit Moctezumas II.

Zwei aztekische Federschilde. Viele Schichten bunter Federn wurden von hochspezialisierten aztekischen Federhandwerkern, den amantecas, mit einem Klebstoff aus Agavensaft auf ein Vlies aus Pflanzenfasern geklebt. © Landesmuseum Württemberg, Foto: Hendrik Zwietasch

Objekte aus der Neuen Welt wurden schnell zu begehrten Sammlerstücken in Europa. Im 16. Jahrhundert gelangten zwei Federschilde bis in das um Weltläufigkeit bemühte Württembergische. Die Schilde waren vermutlich um die Zeit der Eroberung Tenochtitláns entstanden. 1599 kamen sie bei einem Fastnachtsumzug des württembergischen Herzogs Friedrich I. zum Einsatz. Der Herzog war als „Königin Amerika“ verkleidet und ließ sich barfuß und mit entblößten Knien in einer Sänfte tragen. Der jugendliche Schein trügt übrigens. Der Herzog war zu dieser Zeit bereits über 40 Jahre alt. Ob er wusste, dass die beiden Schilde aus dem Aztekenreich stammten? Das ist unbekannt, ebenso auf welchen Wegen sie in den Besitz des Herzogs gelangten. Solche Federarbeiten waren bei den Azteken dem Adel vorbehalten. Heute gibt es weltweit nur noch vier Exemplare dieser Kostbarkeiten.    

Der württembergische Herzog Friedrich I. als "Königin Amerika" auf einem Fastnachtsumzug. Mit dabei zwei aztekische Federschilde.
Eine der Zeichnungen, auf denen der Umzug der „Königin Amerika“ samt Gefolge zu sehen ist. Die beiden Schilde waren der Hauptgrund für die Errichtung des Lindenmuseums 1911. Heute befinden sie sich im Besitz des Landesmuseums Württemberg. Foto: Anne Mann

Tribute - die Säule des Wohlstands

Kleine Steinkiste mit Deckel aus dem Besitz des aztekischen Herrschers Moctezuma II.
Künstlerisch herausragende Steinkiste mit Deckel aus dem Besitz des aztekischen Herrschers Moctezuma II., Granit © MARKK, Hamburg, Foto: Paul Schimweg

Der Ursprung der Azteken liegt im Mythischen. Der Name Azteken ist übrigens eine Schöpfung europäischer Wissenschaftler, die Bewohner Tenochtitláns nannten sich selbst Mexica. 1064 sollen die Azteken vom sagenumwobenen Ort Aztlan in das Tal von Mexiko gezogen sein, geleitet von ihrer Schutzgottheit Huitzilopochtli. Dort, wo sich ein Adler mit einer Schlange im Schnabel auf einem Kaktus niederließ, sollten sie siedeln. Dieser Ort war Tenochtitlán. Die Gründung der Stadt wird auf das Jahr 1325 datiert, vermutlich gab es aber dort schon früher eine Siedlung. Nach und nach eroberten die Azteken von Tenochtitlán aus die Mehrzahl der etwa 50 Stadtstaaten im Tal von Mexiko. Genau genommen war es ein Dreibund aus den Städten Tenochtitlán, Tetzcoco und Tlacopan, gleichberechtigt waren die Partner jedoch nicht. Tenochtitlán gab den Ton an. Den Unterlegenen wurde Schutz gegen Tributzahlungen angeboten. Die Macht der lokalen Herrscher blieb auch nach der Unterwerfung weitgehend unbeschnitten. Daher schlossen sich manche Städte freiwillig den Azteken an. Die Tribute konnten allerdings drückend sein. Das aztekische Reich muss man sich als multiethnisches Imperium vorstellen, ein Flickenteppich mit unabhängigen Einsprengseln. In den unterworfenen Ethnien fanden die Spanier um Cortés ihre Verbündeten. Sie sahen ihre Chance gekommen, die hohen Tributzahlungen an den aztekischen Herrscher Moctezuma II. ein für allemal loszuwerden.

Sorgfältig gearbeiteter Kojote oder junger Wolf, gemeißelt aus Stein, Aztekenreich
Kojote oder (wahrscheinlicher) junger Wolf. Wölfe waren die am meisten geopferten Säugetiere in Tenochtitlán. © D.R. Archivo Digital de las Colecciones del Museo Nacional de Antropologia, Secretaria de Cultura - INAH

Tenochtitlán - die Kapitale im See

Erd- und Maisgöttin Chicomecóatl aus Stein, aztekisch
Erd- und Maisgöttin Chicomecóatl, Göttin der Nahrungsmittel, der Erde und des Mais, Stein. Jede Wachstumsphase des Mais hatte eine eigene Gottheit. Foto: Anne Mann

Als Cortés und seine Leute nach Tenochtitlán kamen, müssen sie staunend vor dieser prachtvollen Stadt, gebaut auf den Inseln des Texcoco-Sees, gestanden haben. Jedes Haus war mit einem Kanu zu erreichen, Staudämme mit befestigten Straßen verbanden das Festland mit der schwimmenden Stadt, Aquädukte brachten frisches Wasser in die Häuser. Auf den Märkten gab es alles zu kaufen, was man sich nur wünschen konnte. Die medizinische Versorgung war herausragend, selbst die Spanier bevorzugten die einheimischen Ärzte. Tenochtitlán war 1519 eine der größten Städte der Welt, schätzungsweise lebten dort 200.000 Menschen. In der Stadt wohnte die aztekische Elite, der Adel, Priester, auch Händler und Handwerker. Fernhändler und spezialisierte Handwerker, wie die Federhandwerker, konnten sehr reich werden. Die Tribute ermöglichten der Elite ein Leben im Luxus. Außerhalb der Stadt lebten die Bauern. Mais, Bohnen und Kürbisse gehörten zu den Grundnahrungsmitteln. Sklaven bildeten die unterste gesellschaftliche Schicht. Gesellschaftlicher Aufstieg war nur über den Militärdienst möglich. Als Krieger erfolgreich war, wer viele Gefangene machte. Manche Kriege, die sogenannten Blumenkriege, wurden nur wegen der menschlichen Beute geführt. Diese Gefangenen lebten viele Monate oder sogar Jahre in Tenochtitlán, bevor sie rituell hingerichtet wurden.    

Goldene Ohrringe der Göttin Coyolxauhqui Aztekenreich
Goldene Ohrringe der Göttin Coyolxauhqui © Jorge Pérez de Lara, D.R. Secretaría de Cultura - INAH

Der heilige Bezirk

Ungewöhnliche Figur des Gottes Quetzalcoatl aus Grünstein, Aztekenreich
Figur des Gottes Quetzalcoatl. Ein innerer Kanal verbindet den Mund mit der Vertiefung am Bauch, vermutlich wurde die Figur bei Trankopfer-Ritualen verwendet. Grünstein, Koralle oder Spondylus © Landesmuseum Württemberg, Foto: Hendrik Zwietasch

Das Zentrum des aztekischen Imperiums bildete der sakrale Bezirk Tenochtitláns mit dem Templo Mayor. Es war ein riesiges Areal (ca. 167.000 m2) mit Tempeln, Schulen und Spielfeldern für das rituelle Ballspiel. In den Eliteschulen erhielt der adlige Nachwuchs Unterricht in Kampfkunst, Religion, Recht, Geschichte, Kalenderwissen und Literatur. Damit stand ihnen eine höhere Laufbahn als Botschafter, Steuereintreiber, Lehrer, Richter oder Priester offen. Mädchen wurden ebenfalls unterrichtet, allerdings in den weniger spannenden Fächern Haushaltsführung und Herstellung von Textilien.    

Alles für die Götter

Personifizierte Steinmesser, Obsidianklingen mit Zähnen und Augen. Aztekenreich
Drei personifizierte Steinmesser. Sie stellen vermutlich Götter dar, während der heutige Betrachter eher Comicfiguren damit assoziiert. Ihr Verwendungszweck ist nicht bekannt. Gefunden bei Ausgrabungen im Templo Mayor. Foto: Anne Mann

Die Kuratoren der Ausstellung haben den Templo Mayor an das Ende gestellt. So betritt man den sakralen Bezirk erst, wenn man den Azteken schon etwas nähergekommen ist. Die grausigen Menschenopfer, die hier stattfanden, gehen nur schlecht mit den Wertvorstellungen heutiger Besucher zusammen. Es ist der Versuch, den aztekischen Opferritualen etwas von ihrer Grausamkeit zu nehmen. Menschenopfer waren besonderen Gelegenheiten vorbehalten. Bei Grabungen um den Templo Mayor hat man bisher 240 rituelle Opferdepots gefunden, die eine Vielzahl von Tierknochen, Pflanzen und Objekten enthielten, von denen die meisten durch Handel oder Tribute nach Tenochtitlán gekommen waren. Je größer das Reich wurde, desto besser gefüllt waren die Opferdepots, 13.000 Objekte wurden in einem einzigen Depot gefunden.    

Aztekischer Opferstein in Form eins Mühlsteins mit einem Loch in der Mitte. Wurde Gefangenen bei Schaukämpfen umgebunden.

Opferstein Temalacatl. Manche Kriegsgefangene wurden in einer Art „Schaukampf“ getötet. Mit einem Fuß wurden sie an einen Opferstein gebunden, sie trugen ein Federkostüm, die Obsidianklingen ihres Schwertes hatte man durch Federn ersetzt. Ihr Gegner trug ein Jaguarfell und benutzte ein scharfes Obsidianschwert. Der Gefangene hatte keine Chance. Foto: Anne Mann

Blut fordert Blut*

Auch wenn die Angaben der spanischen Eroberer über die Zahl der Opfer mit Sicherheit maßlos übertrieben waren: Das Vergießen von Blut gehörte zur aztekischen Kultur. Blutopfer waren das wertvollste Geschenk an die Götter. Priester ritzten sich Zunge, Ohr oder Genitalien mit Agavenstacheln und brachten so das eigene Blut den Göttern dar. Obwohl Sauberkeit eine der meistgeschätzten Tugenden war, wuschen sich manche Priester nie die mit Blut besudelten Haare. Die nur noch fragmentarisch überlieferten Schöpfungsmythen der Azteken machen verständlich, warum ihnen die Opferung von Blut und Leben notwendig erschien, um die Welt in Gang zu halten. Denn die Götter hatten sich selbst geopfert, um die gegenwärtige Welt zu schaffen und ihren Fortbestand zu sichern. Die Opfergaben waren eine Kompensation für das erlittene Leid. Laut den Mythen war die Menschheit bereits viermal vernichtet worden und lebte jetzt unter der fünften Sonne. Eine erneute Zerstörung der Schöpfung war eine Möglichkeit, mit der ständig zu rechnen war. Die ritualisierten Tötungen trafen Kriegsgefangene, Verbrecher, Sklaven und wohl auch politische Gegner. Sie geschahen nicht aus blindwütiger Mordlust, brutal waren sie trotzdem. Man schnitt manchen der Opfer das Herz aus dem Leib und warf den Leichnam von der obersten Stufe der Tempelpyramide herab. Wie oft dies vorkam, lässt sich kaum noch nachweisen, denn aufbewahrt wurden nur die Schädel. Die offen gezeigte Gewaltsamkeit der Hinrichtungen kann durchaus auch als Machtdemonstration verstanden werden.

* Shakespeare: Macbeth

Menschlicher Schädel vom Tzompantli, dem Schädelgestell. Aztekenreich, Tenochtitlán

Schädel vom Tzompantli, dem Schädelgestell. 2015 hat man das Schädelgestell nahe des Templo Mayor entdeckt. Hunderte Schädel wurden auf diesen Gestellen aufgezogen, die aus hölzernen Balken gebaut waren. Bis jetzt hat man etwa 500 Schädel gefunden. Die meisten stammen von jungen männlichen Erwachsenen, vermutlich waren es Kriegsgefangene. Foto: Anne Mann    

Fazit

Frauenfigur aus Keramik, bekleidet mit einem Wickelrock mit Rautenmuster, aztekisch
Frauenfigur in typischer Tracht. Foto: Anne Mann

Eine umfassende Ausstellung, die sich wirklich lohnt. Die letzte Azteken-Schau gab es in Deutschland 2003 in Berlin. Seither hat man bei Grabungen auf dem ehemaligen heiligen Bezirk Tenochtitláns viele neue Erkenntnisse gewonnen, die in die Stuttgarter Ausstellung eingeflossen sind. Das große Schädelgestell zum Beispiel wurde erst  vor wenigen Jahren entdeckt. Für einen Besuch sollte man zwei Stunden einplanen, Ungeduldigere schaffen es auch in einer. Der Audioguide ist zum Verständnis nicht unbedingt nötig. Angeboten wird auch ein interessantes Begleitprogramm und natürlich ein Katalog.

„Azteken“ noch bis zum 03. Mai 2020 im Lindenmuseum Stuttgart.

Mehr Informationen unter lindenmuseum.de