Kaiserliche Klüngelei
Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht
Sollte man sich nicht gerade in einem Gebiet mit niedrigen Inzidenzen befinden, was wohl für die meisten von uns zutrifft, sind die Türen der Museen geschlossen. Von all den in jahrelanger Arbeit konzipierten Ausstellungen bleiben dem verhinderten Besucher nur die Kataloge. Was folgt, ist der Versuch, eine Ausstellung zu bewerten, die man nicht gesehen hat. Wie heißt es so schön: "ohne Gewähr" und in der Hoffnung, dass sich die Türen irgendwann wieder öffnen mögen. Über die Ausstellung "Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht" - gerade nicht in Mainz zu sehen. Mehr lesen...
Nicht druckfrisch, aber immer noch gut ...
Der neue Band des "Zeitlotsen" ist ab sofort bei Amazon als E-Book erschienen. Er beschäftigt sich im ersten Teil mit einer der interessantesten Persönlichkeiten des Mittelalters: Otto III. Otto war mit 6 Jahren bereits König, mit 16 Kaiser, mit 22 tot. Eine kurze, aber heftige Karriere. Der zweite Teil ist seinem Verwandten und Nachfolger Heinrich II. gewidmet. Viele Zeitgenossen sahen in ihm ein Kontrastprogramm zu seinem umtriebigen Vorgänger. Und manch einer hoffte auf ein frühes Ableben des kränklichen, Königs. Sie sollten sich täuschen.
Zur Leseprobe: hier klicken
Direkt zu Amazon: hier klicken
Geschichte ist nur ein Nachplappern von Dingen, die früher passiert sind.* Sie finden diesen Satz gut? Meine Familie auch. Und doch ist er falsch.
*Das ist die Quintessenz eines Dialogs zwischen den beiden Physikern Sheldon Cooper und Leonard Hofstadter in der Sitcom Big Bang Theory (5. Staffel, Folge 10). Sheldon schlägt seinem Mitbewohner Leonard vor, er möge besser Geschichte unterrichten, dazu seien weder Kreativität noch analytisches Denkvermögen nötig.
Historiker (die Verwendung der männlichen Form für beide Geschlechter widerstrebt mir zwar, aber noch mehr widerstreben mir alle Historiker*/innen Varianten, also denken Sie bitte die in diesem Berufsstand zahlreich vertretenen Frauen immer mit), Historiker sagen, Geschichte setze sich mit der Vergangenheit auseinander, gehöre aber zur Gegenwart. Klingt paradox? Keineswegs! Denn Historiker stellen die Fragen an die Vergangenheit, auf die wir heute eine Antwort haben wollen. Das sind andere Fragen als vor 50 und andere als vor 100 Jahren. Niemand beschäftigt sich mit der Vergangenheit nur um ihrer selbst willen. Wir wollen Antworten für unser heutiges Leben. Das ist eine Grundkonstante menschlichen Denkens und insofern nichts Neues, das war schon immer so. Deswegen befindet sich die Geschichtswissenschaft in einem ständigen Wandel. Geschichte liefert durch die Beschäftigung mit der Vergangenheit Erklärungsansätze für die Gegenwart.
Ginge es nur darum, vergangene Ereignisse „nachzuplappern“, könnten Historiker sich bei ihrer Arbeit auf die letzten 50 Jahre beschränken. Was die reinen Fakten angeht, sind aus früheren Zeiten kaum neue Erkenntnisse zu erwarten. Da ist bereits alles gesagt. Und doch erscheinen jedes Jahr unzählige neue Bücher über die Antike, das Mittelalter, die frühe Neuzeit. Und finden ein interessiertes Publikum. Historiker forschen über Geschlechterbeziehungen, Migrationsbewegungen, den Umgang mit Ressourcen, die Stellung Europas und vieles mehr. Aus den altbekannten Quellen ergeben sich plötzlich neue Erkenntnisse. Wer die richtigen Fragen stellt, und das ist eine Kunst, die jeder wissenschaftlich ausgebildete Historiker beherrschen sollte, erhält auch neue Antworten.
Wer die Vergangenheit ignoriert, verliert sich im Hier und Jetzt. Hätten wir das Alte nicht, gäbe es nichts Neues, denn wie sollten wir es erkennen? „Zukunft braucht Herkunft“ betitelte der Philosoph Odo Marquard im Jahr 2003 eine Auswahl seiner Essays, die anlässlich seines 75. Geburtstags erschien. Der 2015 verstorbene Marquard vertrat die Ansicht, dass man wissen muss, wo man herkommt, um erkennen zu können wo man steht und wohin man gehen will. Marquards Buchtitel stieß auf große Resonanz, immer wieder gern zitiert, vom Deutschen Altphilologenverband, was wenig überraschend ist, bis zur Telekom. Für den Dialog mit ehemaligen Mitarbeitern. Insofern auch Vergangenheit. Aber das nur nebenbei. Die schnelle Veränderung der Lebensverhältnisse lässt Menschen nach etwas Vertrautem, nach einer Konstante suchen. Marquard nannte das einmal einen Teddybären für Erwachsene. Geschichte ist das Fundament unserer Gegenwart und ganz klar ein Teddybär.
Wer sich mit der Vergangenheit beschäftigt, beginnt mit einer Frage. Das ist das eigentliche Geschäft des Historikers: gute Fragen zu stellen. Ich erinnere mich an den Vortrag eines Ingenieurs, eines Professors, an unserem Historischen Institut. Der Vortrag handelte von irgendeinem Kuriositätenkabinett aus der Zeit des Barock. Begeistert und sehr detailliert wurden wir über die Funktionsweisen der dort vorhandenen mechanischen Wunderwerke unterrichtet. Doch die entscheidende Frage blieb unbeantwortet: Warum? Warum gab es im Barock diese Sammlungswut, warum dieses technische Interesse? Welchem Zweck diente es? Repräsentation? Bildung? Ich will nicht unterstellen, dass Ingenieure nicht lernen, Fragen zu stellen, aber sie stellen eben nicht diese Art von Fragen. Sonst hätten sie ja auch Geschichte studiert. Doch dieser Professor der Ingenieurwissenschaften war überzeugt, er hätte das Geschäft eines Historikers erledigt. Aber es war nur das Sammeln von Fakten. Beschäftigt man sich mit der Vergangenheit, muss man die eigene Position immer wieder hinterfragen, nichts als gegeben hinnehmen. War es wirklich so, wie ich denke, hätte es nicht auch anders sein können? Hüten wir uns vor Bildern im Kopf (und im Fernsehen), die das zeigen, was wir erwarten. Das Mittelalter war dunkel? Ja, vor allem nachts.
„Die Geschichte ist die Wissenschaft vom Menschen in der Zeit.“ Das sagte der französische Historiker Marc Bloch Anfang der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts in seinem Buch „Apologie der Geschichtswissenschaft oder Der Beruf des Historikers“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht, dass Geschichte unglaublich viel Spaß macht. Meinte Monsieur Bloch übrigens auch. Aber dazu muss man wahrscheinlich Historiker sein.
Marc Bloch wurde 1944 von der Gestapo erschossen, sein Buch ist unvollendet geblieben. 2002 erschien es in neuer deutscher Übersetzung.